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Die Unzertrennlichen

Die Unzertrennlichen

Titel: Die Unzertrennlichen
Autoren: Lilian Faschinger
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und Koteletten und trägt eine John-Lennon-Brille, ein bis zum Brustbein offenes, loses weißes Hemd und eine Glockenhose in Grün, Blau und Violett mit Paisley-Muster.
    »Ein solcher Aufzug«, sagte meine Großmutter, »wie die Zigeuner! Aber wir mussten einwilligen, sonst hätten sie nur standesamtlich geheiratet, und das hätte mir das Herz gebrochen. Natürlich hat es uns einige gute Flaschen gekostet, den Pfarrer zu überzeugen. Ein Karneval in der Kirche!«
    Meine Mutter hat das lange, glatte blonde Haar offen und in der Mitte gescheitelt und ein buntes Tuch um die Stirn geschlungen, dessen Zipfel über eine Schläfe herabfallen. An ihren Ohren hängen große dünne goldene Creolen, sie trägt einen fließenden Hosenanzug aus einem dünnen Material mit Rüschen und Volants und einem Muster aus roten und orangefarbenen Kreisen, dazu sonnengelbe Schuhe mit hohen Plateauabsätzen. Sie sieht aus wie Joni Mitchell, nicht so, wie man sich eine Brasilianerin aus Pernambuco vorstellt.
    »Sie war so schön, Sissi«, sagte mein Vater am Telefon. »So schön, unvorstellbar. Blond, aber kohlschwarze Augen, eine Seltenheit. Das Blonde kam von den Holländern, weißt du, die Holländer waren eine Zeitlang in der Gegend, aus der sie stammt. Ein Hexenblick – wenn sie mich ansah …« Er begann laut zu weinen.
    Wegen der Holländer hieß meine Mutter Olinda mit zweitem Vornamen Saskia. Die Stadt, aus der sie kam, hieß ebenfalls Olinda.
    »Es heißt: O, wie schön!«, erklärte mir mein Vater. »Verstehst du? Das sagt alles: O, wie schön!«
    »Sympathische junge Leute«, sagte Emma, nachdem ich ihr das Foto gezeigt hatte. »Sei stolz auf deine Eltern. So fein und zart. Wie anmutige Tiere. Rührend. Du hast die Figur deiner Mutter. – Wie haben sie sich kennengelernt? Erzähl!«
    Und ich erzählte.
    Meinem Vater war das Dorf immer zu klein.
    »Schon bei seiner Geburt wusste ich, dass es mit diesem Kind nichts als Schwierigkeiten geben würde«, sagte meine Großmutter zu mir. »Noch bevor die Nabelschnur durchtrennt war. Es war die Art, wie er schrie. Und ich hatte recht. Er war von Anfang an obstinat. Vom allerersten Schrei an.«
    Mein Vater sah es anders.
    »Ich hatte keine Lust, Weinbauer zu werden, so wie alle im Dorf. Mir war langweilig hier, ich wusste nicht, was ich mit mir anfangen sollte. Das änderte sich mit der Kawasaki.«
    Ach, die Kawasaki. Ich erinnere mich noch an die Ausfahrten mit meinem Vater. Ich war keine drei Jahre alt, da setzte er mich schon vor sich auf den Tank und brauste auf den kurvenreichen Straßen im Sausal dahin, hügelauf und hügelab. Es gefiel mir nicht, mir wurde übel. Später dann saß ich hinter ihm und hielt mich in panischem Entsetzen an ihm fest, wenn er beschleunigte. Er verstand meine Reaktion nicht.
    »Sei doch nicht so verkrampft, Sissi! Lehn dich in die Kurve hinein, so weit du kannst. Ganz locker. Du musst mit der Maschine mitgehen, dich anpassen, mit ihr verschmelzen. Nein, nicht hinaus, hinein! Ja, so ist es besser – ein herrliches Gefühl!«
    Die Kawasaki Samurai, die ihm seine Eltern widerwillig schenkten, machte einen Mann aus ihm, noch vor meiner Mutter.
    »Was hätten wir tun sollen, dein Großvater und ich?«, sagte meine Großmutter. »Monatelang lag er uns in den Ohren mit seinem Gejammer, er bat und bettelte und drängte, drohte, nach Kanada auszuwandern, wenn er die Maschine nicht bekam. Der Starrsinn in Person, dein Vater. Und unbescheiden, genau wie du. Er hat kein gutes Haar am Dorf gelassen, hat gespottet über die Leute hier, uns als Hinterwäldler bezeichnet. Also haben wir sie ihm schließlich gekauft. Wir hofften, durch das Motorradfahren würde sich seine Widerborstigkeit etwas legen. Die Kawasaki kostete ein Heidengeld. Wir mussten uns sehr einschränken, dein Großvater und ich. Aber was hätten wir machen sollen?«
    Laut meinem Vater, der mich mit technischen Einzelheiten nicht verschonte, war die Präsentation der Kawasaki A 1 Samurai im Jahre 1966 eine Sensation.
    »Sie schlug ein wie eine Bombe«, erzählte er mir. »Den Motorradfans auf der ganzen Welt stockte der Atem. Ich war damals siebzehn und setzte mir die Maschine in den Kopf. Ein Jahr später hatte ich sie. Die Kawasaki hat mein Leben verändert. Eine echte Zweitakt-Rakete. Praktisch eine Rennmaschine mit Straßenzulassung. Einunddreißig PS und eine Spitzengeschwindigkeit von sagenhaften einhundertsiebzig Stundenkilometern. Der Motor kam bis auf zehntausend Umdrehungen pro
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