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Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks

Titel: Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks
Autoren: Rebecca Skloot
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Holztüren des Auktions- und Lagerhauses öffneten.
    Sobald sie ankamen, halfen Henrietta und die Cousins, die Pferde auszuspannen, und füllten ihre Futtertröge mit Getreide. Dann luden sie den Tabak der Familie ab und legten ihn auf den Bretterfußboden des Lagerhauses. Der Auktionator ratterte Zahlen herunter, die in dem großen, offenen Raum widerhallten. Die Decke war fast zehn Meter hoch, die vielen Oberlichter hatte der Schmutz der Jahre geschwärzt. Während Tommy Lacks neben seiner Ware stand und um einen guten Preis betete, liefen Henrietta und die Cousins zwischen den Tabakhaufen hin und her, wobei sie in einem schnellen Kauderwelsch brabbelten und den Auktionator imitierten. Abends halfen sie Tommy, den nicht verkauften Tabak in den Keller zu bringen. Dort machte er den Kindern aus den Blättern ein Bett. Die weißen Bauern schliefen eine Etage höher in großen Hallen und Privatzimmern; die Schwarzen verbrachten die Nacht auf einem staubigen Lehmfußboden in den Eingeweiden des Lagerhauses bei den Pferden, Maultieren und Hunden. Ein hölzerner Verschlag für die Tiere reihte sich hier an den anderen, und leere Schnapsflaschen türmten sich bis fast zur Decke. In den Nächten im Lagerhaus wurde gesoffen, dem Glücksspiel und der Prostitution gefrönt, und gelegentlich floss auch Blut, wenn die Bauern die Einnahmen der Saison durchbrachten. Von ihrem Bett aus Tabakblättern aus starrten die Lacks-Kinder die baumgroßen Deckenbalken an, bevor sie beim Klang von Gelächter und klirrenden Flaschen einschliefen – mit dem Aroma getrockneten Tabaks in der Nase.
    Am Morgen zwängten sie sich zusammen mit dem nicht verkauften Teil der Ernte wieder in den Wagen und machten sich auf den langen Heimweg. Die Vettern, die in Clover zurückgeblieben waren, wussten genau, was eine Wagenfahrt nach South Boston bedeutete: Für jeden würde es etwas geben, ein
Stück Käse vielleicht oder eine Scheibe Fleischwurst; also warteten sie stundenlang geduldig an der Hauptstraße und folgten dem Wagen dann bis zum Home-House.
    Die breite, staubige Hauptstraße von Clover war voller Ford-Modelle A und Wagen, die von Maultieren oder Pferden gezogen wurden. Der alte Snow hatte in dem Ort den ersten Traktor und fuhr damit zum Einkaufen, als wäre es ein Auto – die Zeitung unter den Arm geklemmt, neben sich seine Hunde Cadillac und Dan. Auf der Hauptstraße gab es ein Kino, eine Bank, einen Juwelier, eine Arztpraxis, ein Eisenwarengeschäft und mehrere Kirchen. Bei gutem Wetter standen weiße Männer – vom Bürgermeister über den Arzt bis zum Leichenbestatter – mit Hosenträgern, Zylindern und langen Zigarren an der Hauptstraße, tranken Whisky aus Saftflaschen, unterhielten sich oder spielten auf dem Holzfass vor der Apotheke Dame. Die weißen Frauen schwatzten derweil im Gemischtwarenladen, während ihre Babys friedlich nebeneinander auf dem Ladentisch schliefen, die Köpfchen auf Stoffballen gebettet.
    Henrietta und ihre Cousinen verdingten sich bei den Weißen und pflückten auf deren Feldern für zehn Cent Tabak. So hatten sie genug Geld, um sich ihre geliebten Cowboyfilme mit Buck Jones anzusehen. Der Kinobesitzer zeigte Stummfilme, und seine Frau spielte dazu Klavier. Da sie aber nur ein einziges Stück konnte, eine fröhliche, karnevalsähnliche Melodie, spielte sie es immer – auch wenn auf der Leinwand gerade Blut floss oder jemand erschossen wurde. Die Lacks-Kinder saßen in der Abteilung für Farbige neben dem Projektor, der während des gesamten Films laut tickte wie ein Metronom.
     
    Als Henrietta und Day älter wurden, fanden sie Spaß an Pferderennen auf dem Feldweg, der sich an der Tabakplantage der Lacks-Familie – sie hieß jetzt einfach Lacks Town – entlangzog.
Die Jungen stritten sich immer darum, wer Charlie Horse reiten durfte, Opa Tommys großen Braunen, der schneller war als jedes andere Pferd in Clover. Henrietta und die anderen Mädchen sahen vom Hügel oder von mit Strohballen beladenen Wagen aus zu, hüpften auf und ab, klatschten in die Hände und kreischten, während die Jungen auf den Pferden vorübersausten.
    Oft feuerte Henrietta Day an, manchmal aber auch Crazy Joe Grinnan, einen anderen Vetter. Crazy Joe war ein »überdurchschnittlicher Mann«, wie Vetter Cliff es ausdrückte: groß, stämmig und stark, mit dunkler Haut, einer scharf geschnittenen Nase und so viel dichtem Haar auf Kopf, Armen, Rücken und Hals, dass er sich im Sommer am ganzen Körper rasieren musste, um nicht allzu
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