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Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks

Titel: Die Unsterblichkeit der Henrietta Lacks
Autoren: Rebecca Skloot
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Nachdem er in den Ort gerauscht war, kaufte Fred am nächsten Morgen für Day eine Busfahrkarte nach Baltimore. Sie verabredeten, dass Henrietta hierbleiben und sich sowohl um den Tabak als auch um die Kinder kümmern sollte, bis Day genug Geld für ein eigenes Haus in Baltimore und für drei Fahrkarten nach Norden hatte. Ein paar Monate später bekam Fred den Einberufungsbescheid für Übersee. Bevor er abreiste, gab er Day sein ganzes Erspartes und erklärte, jetzt sei es an der Zeit, Henrietta und die Kinder nach Turner Station zu holen.
    Wenig später stieg Henrietta, ein Kind an jeder Hand, in einen von einer Dampflok gezogenen Zug, der von dem kleinen hölzernen Depot am Ende der Hauptstraße von Clover abfuhr. Sie verließ die Tabakfelder ihrer Jugend und die hundertjährige Eiche, die ihr an so vielen Nachmittagen Schutz vor der Sonne geboten hatte. Henrietta, 21 Jahre alt, stand am Fenster des Zuges und sah zum ersten Mal in ihrem Leben sanfte Hügel und große Gewässer. Sie war auf dem Weg in ein neues Leben.

3
    Diagnose und Therapie
    N achdem Henrietta im Hopkins gewesen war, lebte sie weiter wie bisher: Sie putzte und kochte für Day, die Kinder und die vielen Vettern, die zu Besuch kamen. Ein paar Tage später bekam Jones den Biopsiebefund aus dem pathologischen Labor: »Epidermiskarzinom der Cervix, Stadium I.« Jeder Krebs geht von einer fehlgeleiteten Zelle aus und wird, je nachdem, was für eine Zelle das ist, einer Kategorie zugeordnet. Cervixtumore sind meistens Karzinome: Sie gehen aus den Schleimhaut- oder Epithelzellen hervor, die den Muttermund bedecken und seine Oberfläche schützen. Als Henrietta ins Hopkins kam und über anomale Blutungen klagte, beteiligten sich Jones und sein Chef Richard Wesley TeLinde zufällig gerade an einer landesweiten Diskussion über die Frage, was man als Cervixkrebs einstufen soll und wie man ihn am besten behandelt.
    Der Chirurg TeLinde, einer der führenden Experten für Gebärmutterhalskrebs in den Vereinigten Staaten, war ein eleganter, ernsthafter Mann von 56 Jahren. Er hatte mehr als zehn Jahre zuvor beim Eislaufen einen Unfall gehabt und humpelte seitdem stark. Im Hopkins nannten ihn alle nur Uncle Dick. Er hatte als einer der Ersten Wechseljahresbeschwerden mit Östrogen behandelt und wichtige Erkenntnisse über die Endometriose gewonnen. Außerdem hatte er eines der bekanntesten Lehrbücher über klinische Gynäkologie geschrieben, das heute, sechzig Jahre und zehn Auflagen nach seiner Veröffentlichung, immer noch in Gebrauch ist. Er genoss internationalen Ruf: Einmal erkrankte die Frau des Königs von Marokko, und der Monarch bestand darauf, dass sie von TeLinde operiert
wurde. Als Henrietta 1951 ins Hopkins kam, hatte TeLinde über den Cervixkrebs eine Theorie entwickelt, die, wenn sie sich als richtig erwies, Millionen Frauen das Leben retten konnte. Aber nur die wenigsten Fachkollegen glaubten ihm.
     
    Man unterscheidet zwei Arten von Cervixkarzinomen: Invasive Karzinome haben die Oberfläche des Gebärmutterhalses bereits durchdrungen, bei nichtinvasiven Karzinomen ist das nicht der Fall. Der nichtinvasive Typ wird manchmal auch »Zuckerguss-Karzinom« genannt, weil er glatt und schichtweise auf der Cervixoberfläche wächst; der Fachbegriff dafür lautet Carcinoma in situ (»Karzinom an seinem ursprünglichen Ort«).
    Im Jahr 1951 glaubten die meisten Ärzte, das invasive Karzinom sei tödlich, das Carcinoma in situ aber nicht. Also nahmen sie beim invasiven Typ eine energische Therapie vor, um das Carcinoma in situ aber kümmerten sie sich nicht weiter – man glaubte, es könne sich nicht ausbreiten. TeLinde war anderer Ansicht: Nach seiner Überzeugung war das Carcinoma in situ einfach eine Vorstufe des invasiven Karzinoms, die ohne Therapie irgendwann in die tödliche Form überging. Also behandelte er es aggressiv, wobei er in vielen Fällen die Cervix, die Gebärmutter und große Teile der Scheide entfernte.
    Er vertrat die Ansicht, dies werde die Zahl der Todesfälle durch Gebärmutterhalskrebs drastisch senken. Seine Kritiker dagegen hielten es für eine extreme, unnötige Therapie.
    Die Diagnose des Carcinoma in situ war erst seit 1941 möglich: In diesem Jahr hatte der griechische Wissenschaftler George Papanicolaou in einem Fachartikel einen von ihm entwickelten Test beschrieben, der heute als Pap-Abstrich bezeichnet wird. Dabei kratzt man mit einer gebogenen Glaspipette Zellen vom Gebärmutterhals ab und sucht unter dem Mikroskop
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