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Die unsichtbare Handschrift

Die unsichtbare Handschrift

Titel: Die unsichtbare Handschrift
Autoren: Lena Johannson
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»Siehst du, Kind, das ist das Unglück unserer Welt: Grafen, Könige und Kaiser meinen die Geschicke nach ihrem Willen lenken zu können. Dabei kann das nur Gott, unser Vater. Er allein und niemand sonst.« Er öffnete die Augen wieder, die mit einem Mal blitzten, wie sie es früher getan hatten, als Heilwig noch ein Kind gewesen war.
    »Ich verstehe nichts von diesen Dingen«, begann sie zögernd, »aber ist es nicht so, dass sie ihre Titel von Gott dem Herrn bekommen, um die Geschicke der Menschen nach seinem Willen zu lenken?«
    Er lachte heiser. »So sollte es sein. Doch Gott ist nicht hier, um Titel nach seinem Ermessen zu verteilen. Das erledigen Kirchenmänner in seinem Namen und nach ihrem eigenen Ermessen. Die wenigsten, die Keuschheit, Bescheidenheit und Gehorsam predigen, glauben selbst daran.« Er zog eine Grimasse, als hätte sie ihm eine verdorbene Speise vorgesetzt. »Jeder hat nur seinen eigenen Vorteil im Sinn. Glaube mir, mein Kind, ich zähle wohl um die vierundachtzig Jahre. Das ist eine lange Zeit, in der man viel zu sehen bekommt. Da wird um Titel und Ländereien geschachert, da geht es darum, Macht zu erlangen. Was man dann damit anfängt, hat nichts mit dem zu tun, was man zuvor gelobt hat.« Er hatte sich in Rage geredet und musste eine Pause einlegen. Nach einigen tiefen Atemzügen fuhr er fort: »Ich habe Priester, Kardinäle und Bischöfe gesehen, die sich von Hurenwirten freie Frauen haben bringen lassen, die ihnen dann unter der Kutte zur Hand gegangen sind, während die Herren den Umbau eines Klosters besprochen haben.«
    »Großvater!« Heilwig spürte, wie ihr die Hitze ins Gesicht schoss. »Das ist Sünde!«
    Wieder lachte er heiser. »Davon spreche ich, Kind. Es ist mehr Sünde in der Welt als Gottesfurcht. Daran wird die Menschheit zugrunde gehen.«
    Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Konnte sie ihn jetzt bitten, ihr ungeborenes Kind zu segnen? Und dann brauchte er vielleicht ein wenig Ruhe.
    »Ich war nicht besser als sie«, sagte er in diesem Moment leise.
    »Aber das ist doch nicht wahr«, widersprach sie augenblicklich. »Du warst ein gottgefälliger Mann, das weiß ein jeder.« Sie selbst wusste das im Grunde nicht. Sehr viel hatte sie nicht an seinem Leben teilgehabt.
    »Erst seit ich in das Kloster Marienfeld ging. In der Zeit davor, als ich noch weltliche Macht hatte, da war ich gefürchtet.«
    »Du bist nicht immer Mönch gewesen?« Heilwig war überrascht.
    »Nein, mein Kind. Schon vor deiner Geburt bin ich Mönch geworden, doch zuvor war ich Ritter und Regent von Lippe. Ich habe zwei Städte gegründet.«
    »Das wusste ich nicht.«
    »Wie ich dir sagte, schon vor deiner Geburt habe ich die Regentschaft an deinen Vater abgetreten und bin in das Kloster gegangen. Es wundert mich nicht, dass in deiner Familie nicht darüber gesprochen wird.« Ein abschätziges Lächeln erschien auf seinen Lippen. »Du wirst dich fragen, warum ich das getan habe.« Sie nickte. »Gott hat mich für mein Brennen und Rauben, für meine Gier nach Macht, für das Leid, das meine Untertanen durch mich erfahren haben, mit zwei lahmen Füßen bestraft. Die Zisterzienserbrüder haben mich geheilt. Das war das Zeichen. Ich habe es verstanden und bin in ihr Kloster eingetreten.« Er griff nach ihrer Hand, die auf seiner Bettdecke ruhte. »Dort habe ich gesehen, was wahrer Reichtum ist. Bruder Magnus hat mein Leben aufgeschrieben. Ich habe ihm alles erzählt. Aber ich glaube kaum, dass mein Sohn oder dein Gatte die vielen Rollen lesen werden. Darum musst du ihnen den rechten Weg zeigen. Bring sie der Kirche zurück!«
    »Wie soll ich das denn anstellen? Ich bin nur eine Frau. Wer wird schon auf mich hören?« Sie senkte den Kopf. »Außerdem tust du Adolf Unrecht. Er ist ein guter Mann, der zur Kirche gehört.«
    »Warum ist er dann nicht an deiner Seite? Du trägst sein erstes Kind unter dem Herzen, und er lässt dich allein auf eine gefahrvolle lange Reise gehen.« Seine Stimme wurde allmählich schwächer.
    »Wie kannst du so etwas sagen, Großvater? Du weißt, dass er den ewigen Kampf seines Vaters fortführt, den Kampf um Holstein und um die stolze Stadt Lübeck.« Sie spürte nur zu deutlich, dass sie sich mit ihrer Rede selbst überzeugen wollte. Ihr Gatte hatte auch gute Seiten, gewiss, aber sie hatte ihn auch schon hart und unerbittlich erlebt. Und natürlich hatte sie ihn gebeten, sie zu begleiten, was er mit einer Handbewegung fortgewischt und mit einem gehässigen Lachen abgelehnt
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