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Die unsichtbare Handschrift

Die unsichtbare Handschrift

Titel: Die unsichtbare Handschrift
Autoren: Lena Johannson
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hatte.
    »Ja, ich weiß.« Es klang wie ein Stöhnen, als würde es ihn schmerzen, dass Heilwigs Gatte Adolf IV . sich mühte, alte Herrschaftsgebiete zurückzubekommen.
    »Adolfs Vater besaß die Stadtherrschaft, der Dänenkönig Waldemar hat diese zu Unrecht inne.«
    »Rede nicht so daher.« Es war nur noch ein Flüstern. »Dein Mann setzt dir derlei Unfug in den Kopf. Aber ich sage dir, dass hinter König Waldemar einer der redlichsten, gottesfürchtigsten Männer steht, die ich je getroffen habe.«
    Sie sah ihn neugierig an, ohne zu verstehen, worauf er hinauswollte oder warum er ihr all das erzählte.
    »Wenn dein Gatte die Stadtherrschaft über Lübeck von Waldemar zurückhaben will, kämpft er auch gegen Albrecht von Orlamünde aus dem Geschlecht der Askanier. Er aber war stets großzügig der Kirche gegenüber wie kein Zweiter. Er hat zwei Klöster gegründet, und mit ihm unternahm ich eine Kreuzfahrt gegen die heidnischen Livländer. Albrecht ist fromm im Herzen, Kind. Er hat wie ein Held gekämpft, um die Kirche von ihren ungläubigen Feinden zu befreien. Wer gegen ihn ist, ist auch gegen Gott.«
    Heilwig erschauderte. Sie hatte den Namen des Grafen Albrecht von Orlamünde schon gehört, ausgespien von den Lippen ihres Gatten.
    »Überlege dir gut, auf welcher Seite du stehst«, sagte er und legte die Hand mit dem Bischofsring auf ihren Bauch. »Entscheidest du dich falsch, wird Gott dich strafen, so wie er deinen Gatten strafen wird.«

[home]
    Lübeck im März 1226  – Esther
    E s hatte über Nacht geschneit. Ganz heimlich hatte sich ein weißes Tuch über die Gassen und die Quartiere der Handwerker und Ackerbürger gelegt. Esther liebte Schnee. Zwar bedeutete er noch mehr Mühsal, als der Alltag ohnehin für sie bereithielt, doch deckte er all die abscheulichen Gerüche zu, die sonst durch die junge Stadt Lübeck waberten, und er dämpfte auch den Lärm, der sie manches Mal um den Verstand zu bringen drohte. Wenn es schon im Skriptorium ihres Bruders allzu oft ohrenbetäubend zuging, wollte sie wenigstens draußen die Laute der Natur genießen, das Zwitschern der Vögel, das Grunzen der Schweine und das dunkle Rufen der Rinder, die morgens auf die Weiden und abends wieder in die Stadtmark getrieben wurden, und nicht zuletzt das leise Wiehern der Pferde. Stattdessen bekam sie allezeit nur das Hämmern und Feilen und Brüllen zu hören, das von allen Seiten von den vielen Baustellen erklang. Ein jeder war stolz auf die aufstrebende Stadt Lübeck, die im Jahre des Herrn 1226 höchstes Ansehen genoss. Esther dagegen war zwar fasziniert davon, wie Schritt für Schritt ein stattliches Rathaus und, man stelle sich vor, sogar ein Dom wuchsen und in der Alfstraße und der Fischstraße gar Bürgerhäuser aus Backstein entstanden, doch der allgegenwärtige Tumult, das ständige Getöse gefiel ihr keineswegs. Gerade erst hatte man die Stadtmauer fertiggestellt. Wollte denn dieses zügellose Wachsen des einst beschaulichen Lübecks ihrer Kindheit nie enden?
    Sie vertrieb die Gedanken an ihre Kinderzeit und verließ die einfache Holzhütte, die sie mit ihrem Bruder bewohnte. Sie freute sich wie ein kleines Mädchen über die weiße Pracht und spürte, wie ihre Zuversicht und ihre Lebensfreude zurückkehrten. Am Vortag hatte sie sich entsetzlich gefühlt. Der Winter war schon fort, doch der Frühling wollte noch nicht kommen. Tagaus, tagein war es grau und feucht. Ihr Bruder Kaspar war missmutig, denn in der kalten Jahreszeit hatte er Not, das Auskommen für sich und seine Schwester zusammenzubringen. Die Zeit, in der er Dokumente für Kaufleute schreiben oder wichtige Unterlagen kopieren konnte, war kurz. Die Sonne ging spät auf und früh wieder unter. Ständig wurde seine Tinte zäh, und er musste sie aufwärmen. Von seinen Fingern gar nicht zu reden. Lange konnte er den Federkiel nicht halten, bis sie steif vor Kälte waren.
    Wenn Esther es recht bedachte, war ihr Bruder zu allen Jahreszeiten missmutig. Zwar war er ein herzensguter Kerl, der sich treu um sie sorgte, doch schimpfte er im Winter über die lausigen Umstände, unter denen er das wenige verdiente, was gerade eben zum Leben reichte, und im Sommer klagte er darüber, dass die Arbeitstage nie zu enden schienen. Denn Fleiß, das wusste jeder, war Kaspars Sache nicht.
     
    Sie ließ die einfache Behausung hinter sich und machte sich auf den Weg zur Trave. Wie fast immer, wenn sie in den Gassen oder am Flussufer unterwegs war, hatte sie ein Messer bei sich.
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