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Die unsichtbare Handschrift

Die unsichtbare Handschrift

Titel: Die unsichtbare Handschrift
Autoren: Lena Johannson
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interessieren.«
    »Das kommt darauf an. Das Tagebuch, von dem ich spreche, umfasst fünftausend Seiten und verrät unendlich viel über die Gesellschaft, die Kultur, die Politik Kölns von der Mitte bis zum Ende des 16 . Jahrhunderts.«
    »Aus der Sicht eines Ratsherrn.«
    »Ja. Ich weiß, was du denkst, aber wir haben nun einmal nicht viele Dokumente, die den Alltag jener Zeit wiedergeben. Man hat nicht wie heute alles in Zeitungen und Büchern festgehalten. Papier oder davor Pergament war kostbar, nicht jeder konnte überhaupt schreiben. Von den einfachen Leuten gibt es darum solche Tagebücher nicht.«
    »Schon klar.« Er zog die Augenbrauen hoch, so dass sich die sommersprossige Haut seiner Nase spannte. »Und weil dieses eine Tagebuch noch nicht gefunden wurde, gibt man ein irres Geld aus, um danach zu suchen.«
    »Nein, das Buch war nur ein Beispiel. Niemand kann, wie ich schon sagte, bisher überblicken, was noch fehlt. Deshalb muss man um jeden Schnipsel kämpfen, als wäre er ein Heiligtum.« Christa war in ihrem Element. Sie erzählte ihm von Urkunden, die von dem berühmten Barbarossa unterzeichnet waren, von Handschriften von Albertus Magnus und von Nachlässen, wie etwa denen von Adenauer und Böll, die ebenfalls im Kölner Stadtarchiv beheimatet gewesen waren.
    »Ja, gut, Böll und Adenauer, das sagt mir natürlich was. Aber von diesem Magnussen habe ich noch nie etwas gehört.«
    »Magnus, Albertus Magnus. Er war Philosoph und …«
    »Und wen interessiert das? Ich meine, wer entscheidet, was es wert ist, aufbewahrt zu werden, und was nicht?«
    »Das ist nicht leicht«, gab sie zu. Sie versuchte ihm die Gedanken näherzubringen, die hinter dem Archivieren von Dokumenten steckten, schwärmte davon, wie viel man über seine Vorfahren, über deren Traditionen, Handel und Gebräuche lernen konnte. »In Archiven erkennen wir, woher wir kommen«, schloss sie und bemerkte, dass viele Gäste gegangen waren. Nur noch wenige Tische waren besetzt, es war tatsächlich beinahe Ruhe eingekehrt.
     
    Sie zahlten und traten hinaus in die eisige Luft. Schneeflocken segelten an ihnen vorbei.
    »Wo wohnst du?«, wollte er wissen.
    »In einer kleinen Pension nicht weit vom Bahnhof.«
    »Nicht weit vom Dom, heißt das. In Köln orientiert man sich am Dom«, wies er sie lächelnd zurecht. »Ich bringe dich nach Hause.«
    »Das ist nicht nötig.«
    »Ist es doch. Ich will nämlich wissen, ob ihr den ganzen alten Kram überhaupt retten könnt. Geborgen bedeutet doch wohl noch lange nicht gerettet, oder? So wie das Zeug aussieht, wenn es aus dem Wasser kommt …«
    »Das ist wahr.« Sie spazierten am Rheinufer entlang. Christa sah zum Schokoladenmuseum hinüber, dessen Lage sie reizvoller fand als seinen Inhalt. »Was gefunden ist, ist in der Tat noch nicht in Sicherheit. Aber gerade die Dokumente, die unter Wasser liegen, haben gute Chancen, das Unglück unbeschadet oder mit wenigen Schäden zu überstehen.«
    »Tatsächlich?«
    »Ja, das Wasser konserviert gewissermaßen. Wenn die Schriftstücke ununterbrochen im Wasser waren, also nicht zwischendurch an die Luft gekommen sind, dann sollte eine Restaurierung möglich sein.«
    »Was macht ihr mit dem Zeug, wenn ihr es im Zelt abgespült habt? Ich sehe immer nur Kisten mit ganz viel Folie, die weggebracht werden.«
    »Die Papiere werden nach der gründlichen Reinigung in Plastik eingeschweißt und dann auf verschiedene Kühlhäuser verteilt. Dort werden sie bei etwa minus achtundzwanzig Grad schockgefroren und dann gefriergetrocknet, damit sich gar nicht erst Schimmel bilden kann. Damit ist sozusagen der Ist-Zustand gesichert.« Sie zog den Kragen ihres Mantels höher. »Es wird Jahre dauern, bis alles identifiziert und zugeordnet ist. Na ja, und auch das Restaurieren wird dauern. Ein großer Teil der Archivalien ist zumindest leicht beschädigt, ein anderer Teil stark. Das heißt, Schriftstücke, Dokumente und auch Siegel müssen trockengereinigt, Risse müssen geschlossen, Siegel teilweise neu befestigt werden. Da gibt es jede Menge zu tun.«
    Sie waren vor dem unscheinbaren weißen Haus unweit des Doms angekommen.
    »Hier wohne ich. Ist ganz in Ordnung«, meinte Christa und blickte an den sechs Stockwerken hinauf.
    »Das war ein echt netter Abend. Hätte ich nicht gedacht.«
    Sie lächelte spöttisch. »Warum hast du dann zugesagt?«
    »Weil es ungewöhnlich ist, dass eine Frau einem Mann ohne Umschweife eine Verabredung vorschlägt. Und ich mag alles, was ungewöhnlich
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