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Die ungehorsame Tochter

Die ungehorsame Tochter

Titel: Die ungehorsame Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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waren. Es war zunächst unmöglich für ihn gewesen, etwas anderes als Zorn und Kränkung über das Verlassenwerden
     zu fühlen und zu zeigen. Letztlich hatte sich die harte Schicht doch als dünn erwiesen.
    Die Liebe und Verbundenheit, die darunter zum Vorschein kamen, sein Bemühen, Anne zu respektieren, selbst wenn er sie nicht
     wirklich verstand, machten es ihm schließlich leicht, diese schwierige Reise anzutreten.
    «Du meine Güte!» Christian saß immer noch steif wie ein Stock auf seinem Stuhl. «Konnte er nicht noch ein bisschen warten?
     Wenigstens bis zu meiner Rückkehr?»
    «Nein, das konnte er nicht. Er wusste ja nicht, wann das sein würde, und er hat, wie ich bereits sagte, schon viel zu lange
     gewartet.»
    «Und das Kontor? Die Börse?»
    «Rege dich nicht auf! Monsieur Bocholt sieht im Kontor nach dem Rechten und vertritt euch auch an der Börse.»
    «Bocholt?!» Nun sprang Christian endgültig von seinem Stuhl auf, und Augusta dachte, ihr Großneffe werde seinem Vater immer
     ähnlicher. Was gut, aber auch nicht gut war. Sein Charme, seine Heiterkeit, seine Entschlossenheit, das war gut. Seine wachsende
     Neigung, den Geschäften stets den Vorrang einzuräumen, das war nicht gut. Jedenfalls nicht immer.
    «Setz dich wieder. Wenn du gleich losrennst, wird es nicht anders. Und das muss es auch nicht. Werner Bocholt steht einem
     ebenso großen Handelshaus vor wiedein Vater, also stell dich nicht an. Morgen ist genug Zeit, zu prüfen, ob der Freund deines Vaters die Zeit genutzt hat,
     das Haus Herrmanns zu ruinieren.»
    «Gibt es Nachricht von Anne?», fragte Rosina. «Christian hat erzählt, dass sie Sophie begleitet. Ich habe ihr geschrieben,
     aber wir waren gewiss nicht lange genug in Hardenstein, als dass ein Brief von ihr mich hätte erreichen können. Geht es ihr
     gut?»
    Augusta nickte. «Es geht ihr sehr gut, sie ist glücklich, ihre Familie und ihre schöne kleine Insel wiederzusehen. Jedenfalls
     hat sie mir das geschrieben. Und wenn du nun fragst, ob auch sie zurückkommt, kann ich dir keine Antwort geben. Aber wenn
     Claes sich nicht ganz und gar dämlich anstellt», an dieser Stelle entfuhr ihr ein tiefer Seufzer, «werden beide bald zurück
     sein.»
    Madame Bach verfolgte mit geröteten Wangen die privaten Dramen des Hauses Herrmanns. Sie war fasziniert von dieser alten Dame,
     die über den Vorstand ihres Hauses sprach wie über einen verstockten Pagen und dessen Sohn, den zukünftigen Familienvorstand,
     in der gleichen Weise zur Ordnung rief. Monsieur Bach würde es in den nächsten Wochen nicht so bequem haben, wie er es gewohnt
     war.
    Die Uhr im Turm über dem Eingang des Hauses schlug leise viermal, Augusta klatschte in die Hände und machte ein vergnügtes
     Gesicht. Es waren beklemmende Wochen gewesen, manchmal hatte sie geglaubt, das behäbige und zufriedene Leben sei endgültig
     vorbei. Doch nun war sie sicher, alles werde gut, und so ein Sturm, dachte sie, könne ja auch wie ein großer Hausputz wirken:
     Aller Staub, alle Spinnweben, alle Muffigkeit wehten hinaus.
    «Und nun, meine Lieben, wird gefeiert. Benni istschon nach Altona unterwegs. Die restlichen Becker’-schen, auch Lies und Matti, werden ganz gewiss bald in den Garten stürmen
     und Rosina totdrücken, wenn wir nicht achtgeben. Am besten schicken wir ihn, sobald er zurück ist, auch gleich nach Wagner.
     Zu schade, dass Monsieur Lessing nicht in Hamburg ist, er würde gerne mitfeiern. Und du, Rosina, musst dich rasch frisch machen.
     In Annes Zimmer ist ein ganzer Schrank voll mit ihren Gartenkleidern, sie werden ein bisschen lang sein, aber das macht nichts.
     Rasch, Mädchen, in der Küche ist frisches Wasser, und dann hinauf in Annes Zimmer.»
    Rosina lachte. «Das ist sehr liebenswürdig, Madame Augusta. Ich bin sicher, Anne wird nichts dagegen haben, es wäre ja nicht
     das erste Mal, dass sie mir ein Kleid leihen muss. Aber ich glaube nicht, dass es nötig ist. Wenn ich meine ein wenig ausklopfe   …»
    «Nichts da, Kind. Du bist sonnenverbrannt wie ein spanischer Zitronenpflücker. Das frische Pumpenwasser reicht da nicht, du
     brauchst zumindest auch ein hübsches Kleid. Wir erwarten nämlich noch anderen Besuch, und ich will, dass du so schön aussiehst,
     wie du bist.»
    Da half kein Protest. Wenn Augusta etwas beschlossen hatte, war es klüger, gleich nachzugeben.
    Christian wusch sich wie Filippo unter der Pumpe im hinteren Garten und bediente sich im Schrank seines Vaters mit reinen
    

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