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Die ungehorsame Tochter

Die ungehorsame Tochter

Titel: Die ungehorsame Tochter
Autoren: Petra Oelker
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Stirn. Dann drehte er sich um und
     zeigte mit einer schwungvoll ausholenden Bewegung seines rechten Armes, die nur Jean noch melodramatischer gelungen wäre,
     zur Terrasse des Hauses. Von dort kamen zwei schlanke Gestalten näher, beider Gesichter gleich Christians braun gebrannt wie
     die der Männer auf den Schuten, mit schmutzigen Stiefeln, die weißen Hemden längst nicht mehr weiß, und mit strahlenden Gesichtern.
    Was dann kam, wurde später von Monsieur Bach in einem wunderschönen, wahrhaft erhebenden Lied vertont. Er gab ihm den schlichten
     Titel «Vom tränenreichen Wiedersehen nach schicksalsschwerer Zeit». Allerdings traute er sich nie, es zu veröffentlichen,
     weil es ihm für das Werk aus der Feder eines frommen Kantors und Compositeurs von Reputation gar zu rührselig erschien. Stattdessen
     verehrte er es heimlich Rosina, die ihm versprach, es oft und stets mit dem Hinweis zu singen, es stamme aus Feder und Herzen
     eines empfindsamen Anonymus.
    Als auch Elsbeth ihre Tränen weggewischt und selbst Blohm, der alte Diener, geräuschvoll seine Nase geputzt hatte, verschwanden
     beide eilig in der Küche, um aus dem, was dort noch an Essbarem zur Verfügung stand, eine Mahlzeit für die hungrigen Heimkehrer
     zu brutzeln. Bald roch es behaglich nach Eiern und Speck, nach Schmalzgebackenem und sahniger Zitronencreme, nach Kaffee,
     Zimt und Kardamom.
    Christian war nach etlichen Abenteuern im brodelnden Leipzig, die er bei dieser Gelegenheit (und in Anwesenheit von Damen)
     allerdings für sich behielt, nach Hardenstein zurückgekehrt, gerade rechtzeitig zu Rosinas Vorbereitungen für die Rückkehr
     an die Elbe. Der lange Ritt zurück durch das sommerliche Land war trotz der fortwährenden Staubwolken auf den Straßen erheblich
     vergnüglicher als die Reise im neblig kalten März. Auch wenn Rosina zumeist schweigsam blieb und oft, wenn Filippo oder Christian
     ihr etwas zuriefen, nicht antwortete. Endlich erreichten sie die Heide. Das graubraune Ödland aus dem März hatte sich in ein
     hochsommerliches Meer lichten Violetts mit zartblauen Inseln von kleinen Flachsfeldern verwandelt. Der beständig auf und ab
     zwitschernde Gesang ganzer Heerscharen von in der Luft tanzenden Lerchen, Weidenlaubsängern, Wiesen- und Brachpiepern lieferte
     alle Tage Gratiskonzerte, und die Bienen summten bei ihrer unermüdlichen Suche nach dem Nektar um die Wette. Selbst die armseligen
     Kätner und ihre dünnen Kinder schienen nun nicht mehr ganz so armselig. Bei der Artlenburger Furt hatten sie die Elbe überquert,
     und je näher sie der Stadt kamen, je deutlicher sich deren grüne Türme in den tiefblauen Himmel reckten, umso mehr verlor
     Rosina ihre Melancholie.
    Das Haus am Neuen Wandrahm, ihre erste Station in der Stadt, fanden sie verlassen. Alle seien im Garten, versicherte Betty,
     die die Ruhe des Hauses und die ungewohnte Freiheit von ihren Pflichten als Elsbeths erstes Mädchen genoss und heftig durch
     die Ankunft des jungen Herrn aufgeschreckt wurde. Aber sie hatte Glück, die drei verlangten nicht einmal einen Schluck Wasser,
     sondern ritten unverzüglich weiter, über den Wall und durchs Dammtor wieder aus der Stadt hinaus nach Harvestehude.
    «Und wo ist mein Vater?», fragte Christian, nachdem er in einem Zug einen Krug Zitronenwasser geleert hatte. «Ich dachte,
     er sei auch hier.»
    «Nein», sagte Augusta vergnügt. «Er ist nicht hier, er ist nicht mal in der Stadt. Es hat lange gedauert, viel zu lange, wenn
     du mich fragst, aber vor drei Wochen ist er tatsächlich abgereist.»
    «Abgereist?» Christian saß plötzlich kerzengerade. «Wieso abgereist? Wie kann er abreisen, wohin auch immer, wenn ich nicht
     da bin, ihn zu vertreten?»
    «Das war ganz einfach, mein Lieber. Er musste nur seinen Reisesack packen, was natürlich Betty für ihn getan hat, und seine
     Füße auf ein Schiff bewegen. So einfach geht das. Ich bin sicher, er ist inzwischen angekommen. Zumindest in London, nach
     Jersey ist es dann ja nur noch ein Katzensprung. «
    Augusta, die sich durchaus das Verdienst anrechnete, ihren bockigen Neffen schließlich doch davon überzeugt zu haben, dass
     er sich schon selbst auf den Weg machen müsse, wenn er seine Ehefrau zurückhaben wolle, machte ein Gesicht wie eine Katze,
     die gerade eine Schale mit Rahm leergeschleckt hat.
    Sie war in der Tat glücklich über Claes’ Abreise, besonders glücklich jedoch war sie über die nächtlichen Gespräche, die dem
     vorausgegangen
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