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Die Unermesslichkeit

Die Unermesslichkeit

Titel: Die Unermesslichkeit
Autoren: David Vann
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besprechen. Vielleicht könntest du dir abends ein paar Stunden etwas anderes vornehmen, wäre das möglich?
    Klar, kein Problem. Ich esse bei meinen Eltern. Ich rufe Mark heute Abend an, damit Mom Bescheid weiß.
    Prima, sagte Jim. Danke. Dann blickte er wieder auf die Bucht und die Berge dahinter, den Schnee auf dem Mount Redoubt, und dachte, wie clever er doch sei und wie sehr er es verdient habe.

I rene war am Tag nach dem Sturm mutlos und zerschlagen, am darauffolgenden Morgen allerdings wachte sie mit etwas viel Schlimmerem auf, nämlich einem fürchterlichen Kopfschmerz, der in der Augenhöhle begann und sich hinter der Stirn entlangwand. Wenn sie die Augen schloss, sah sie ein rotes Flechtwerk aus Schmerz. Ein neues Muster mit jedem Zwinkern oder Herzschlag, einen endlosen dunklen Himmel. Ausgehend von einer Stelle hinter ihrer rechten Braue, also drückte sie rund ums Auge, und wenn sie den Daumen in die obere Innenecke der Augenhöhle drückte, gab es eine kurze Erleichterung.
    Sie konnte nicht durch die Nase atmen. Ihr Hals rau, vielleicht vom Atmen mit offenem Mund die ganze Nacht. Sie schluckte, und das tat weh und kratzte.
    Gary, krächzte sie mit Mühe, aber keine Antwort. Sie rollte sich auf die Seite, wollte die Wärme ihrer Decken nicht verlassen, doch jetzt spürte sie, wie es von den Nebenhöhlen in den Rachen floss, sie überschwemmte. Sie setzte sich auf und nahm ein Taschentuch, schnäuzte sich, aber es war alles verstopft, felsenfest. Das Schnauben drückte bloß auf die Ohren. Es half überhaupt nichts.
    Gary, rief sie wieder, dringlicher diesmal, aber immer noch keine Antwort. Sie sah auf die Uhr, sie hattelange geschlafen, es war nach neun. Sie legte sich zurück und stöhnte. Der Schmerz in ihrem Kopf anders als alles, was sie je erlebt hatte, so konzentriert, so beharrlich.
    Sie stand auf und ging ins Bad. Musste mal und brauchte Schmerztabletten. Nahm zwei Advil und dann noch zwei und ging wieder ins Bett. Gehen schmerzte. Sie spürte die Schritte im Kopf. Die Rückseite des Auges ein neues Areal, das sie überhaupt noch nie wahrgenommen hatte.
    Sie schlüpfte unter die Decken, bewegte sich vorsichtig und versuchte noch einmal, sich zu schnäuzen, versuchte dann, einfach einzuschlafen. Dies wollte sie nicht im Wachzustand erleben.
    Gary war am Boot und kümmerte sich um die eingedellte Bugrampe. Endlich eine handfeste Regenpause, und die nutzte er, obwohl er sich grauenhaft fühlte, irgendwie Grippe und Fieber, empfindlicher Magen. Er hatte den gestrigen Tag größtenteils im Bett verbracht. Irene war sogar noch schlimmer dran.
    Mit mehreren großen Klemmen und einem Gummihammer kam er voran, kräftig mit beiden Armen ausholend, worauf der Hammer zwar hüpfte, die Platte aber nach und nach zurechtbog.
    Eigentlich hätte man diesen Bug etwas stabiler bauen sollen. Schließlich war es eine Rampe. Man müsste drüberfahren können, das Boot war groß genug für einen Kleinwagen. Doch wer auch immer ihn entworfen hatte, hatte ihn in der Mitte nicht ausreichend verstärkt.Gary war selbst Aluminiumschweißer und Bootsbauer und hatte erwogen, einfach ein Boot mit Rampe zu bauen, aber Irene hatte das nicht gewollt. Zu viele Probleme mit seinen Kostenkalkulationen für frühere Boote. Fehlendes Vertrauen. Also hatten sie viel Geld auf dieses hier verschwendet.
    Vor zwei Tagen in dem Sturm waren sie allein gewesen, heute herrschte reger Betrieb auf dem Anleger neben ihm, fünf oder zehn zu Wasser gelassene kleine Boote. Die Angler taxierten ihn, und einige kamen gucken.
    Ziemliche Delle, sagte ein Mann. Er trug Wathosen mit Schulterträgern, bestens geeignet zum Ertrinken.
    Wenn Sie damit reingehen, sagte Gary, wird die Hose ein Rieseneimer.
    Der Mann sah auf den Latz seiner Wathose hinunter. Könnten Sie recht haben.
    Allerdings, sagte Gary und hämmerte weiter. Der Mann ging, was gut war.
    Vielleicht lag es nur daran, dass er sich krank fühlte, dass sein Magen empfindlich war, aber Gary betrachtete sich gerade selbstkritisch. Dachte daran, dass er gar keinen guten Freund hier oben hatte, nach all den Jahren. Niemanden, der ihm bei der Hütte seine Hilfe anbot. Ein paar Freunde schon, aber keinen, den er anrufen konnte, keine echte Freundschaft. Und er fragte sich, woher das kam. Früher hatte er immer gute Freunde gehabt, in Kalifornien, einige gab es noch, wobei er die bloß alle paar Jahre sah. Irene keine Hilfe in der Hinsicht, nicht sehr gesellig und irgendwieschüchtern, wollte immer nur
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