Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Unermesslichkeit

Die Unermesslichkeit

Titel: Die Unermesslichkeit
Autoren: David Vann
Vom Netzwerk:
grün jetzt, üppig, eingeschlossen, keine Spur eines Weges.
    Hallo Bär, rief er. Hallo Bär, hallo Bär, als er um die Ecke bog. Mücken, die an seinen Ohren summten, seinen Nacken ansteuerten. Der Wald feucht und faulig, Holzgeruch. Wind in den Wipfeln, ein beruhigendes Rauschen, so hoch, dass es selbst von nahem immer weit weg schien.
    Neues Totholz vom Sturm. Im Gehen räumte er Äste aus dem Weg, warf sie beiseite. Zweige, die unter seinen Füßen knackten.
    Er war neugierig auf den Bach, und als er ihn schließlich erreichte, stand das Wasser hoch, war aber nicht verfärbt. Die Bretter, die er als Brücke verlegt hatte, blieben über Wasser, die moosbewachsenen Ecken hellgrün. Er stand da, und das Wasser rauschte auf ihn zu. Farn überall, Teufelskeule, die sich horizontal ausbreitete, ausladende flache Blätter.
    Er ging weiter, auf eine Anhöhe mit Fichten und Pappeln zu Marks Grundstück und sah bereits Marks Haus unten zwischen den Bäumen, am Rande des Sees. Ein großer Garten an der Seite und Marihuanapflanzen im Unkraut weiter hinten, in Plastikwannen. Praktisch alle hier wussten davon. Mark hatte Haus und Grundstück vor zwei Jahren für 18 000 Dollar gekauft, fast vollständig mit Kreditkarten. Im ersten Winter konnte er die Mindestraten nur mit Mühe begleichen und wartete auf den Sommer, wenn er wie alle in Alaska sein gesamtesJahreseinkommen erwirtschaften würde. Und er hatte Glück. Der Preis für Lachs war ungewöhnlich hoch, der Anstieg üppig, und in knapp zwei Monaten verdiente er fast 35 000 Dollar, ein neuer Rekord für ihn, denn er bekam noch nie dagewesene dreißig Prozent auf einem Treibnetzkutter. Die Besitzerin hatte das Boot bei einer Scheidung zugesprochen bekommen und war sehr unerfahren, also brauchte sie einen Profi und war bereit zu zahlen. Er war allseits bekannt und fischte von Kenai aus, seit er dreizehn war, mit nur einer vierjährigen Unterbrechung, als er in Brown studierte.
    Als die Schulden abbezahlt waren, bastelte Mark aus den Kreditkarten ein Mobile, das er Treibkredit nannte, und hängte es an die Küchenlampe. Das Haus war allerdings noch unfertig, es fehlten etliche Trockenwände und die Isolierung, im Winter kalt und immer noch ohne Toilette oder fließend Wasser. Die Ladefläche seines Pickup immer voller Plastikeimer zum Wasserholen. Der Hof zugemüllt mit diversen weiteren Fahrzeugen. Einem verrosteten Dodge-Transporter, einem kaputten VW-Käfer und einem bunten VW-Bus, der hin und wieder fuhr.
    Gary war nicht gerade glücklich über Marks Lebenswandel, aber er wusste auch, dass das keine Rolle spielte. Außerdem sah er, dass Mark jetzt nicht zu Hause war. Und seine Freundin Karen auch nicht. Mark war zweifellos beim Fischen und Karen im Coffee Bus. Gary hatte sich das schon gedacht, aber er mochte den Spaziergang, und hier konnte er auch telefonieren, Rhoda anrufen. Er öffnete die Haustür, die nie abgeschlossenwar, und ging zum Küchentelefon. Ein Teller Schokokekse auf der Anrichte, er nahm sich einen.
    Ich arbeite heute, Dad, sagte Rhoda. Sie war in Dr. Turins Praxis und assistierte gerade beim Zunähen eines schwarzen Labradors. Ich kann jetzt nicht telefonieren.
    Tut mir leid, Schatz, ich habe die Tage durcheinandergebracht. Komm raus zu uns, wenn du Zeit hast. Deine Mutter ist krank.
    Was hat sie denn? Rhoda klang besorgt.
    Kopfschmerzen. Schwere Erkältung.
    Ich schicke jemanden vorbei, sagte Rhoda, und bringe Tabletten mit. Schlimm, dass sie sich so fühlt.
    Du musst nicht rauskommen. Ich glaube, sie braucht nur Schlaf.
    Ich komme trotzdem, Dad, zum Essen heute Abend, schon vergessen?
    Ach ja. Entschuldigung.
    So war Gary also jetzt auf sich gestellt, und er hatte bis zum Essen nur begrenzt Zeit für alles. Er kehrte auf den Weg zurück, fuhr seinen Pickup rückwärts an die Baumstämme heran und fing an, aufzuladen. Nicht so leicht allein, aber auch nicht allzu schwer. Einfach einen Stamm zur Ladeklappe schleifen, ein Ende auflegen, dann das andere nehmen und schieben.
    Er fuhr die Baumstämme zum Boot, und diesmal schob er es wohlweislich weiter ins Wasser. Alles ging glatter. Irene hatte das Schlimmste abbekommen. Kaum Wind heute, sehr kleine Wellen, also würde auch das Entladen auf der Insel unproblematisch sein.
    Gary kam der Gedanke, dass er hätte warten können.Statt in dem Sturm rauszufahren, sodass sie beide krank wurden, hätten sie einfach warten können, wie Irene es gern gehabt hätte. Das wäre besser gewesen. Aber unmöglich, aus
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher