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Die Unermesslichkeit

Die Unermesslichkeit

Titel: Die Unermesslichkeit
Autoren: David Vann
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gibt es gar nicht: am Anfang.
    Sie ließen die Klappe geschlossen und nahmen je einen Baumstamm, zogen ihn über den Bug. Der Wind inBöen aufbrausend, der Regen wie Nadelstiche in ihre Augen, wenn sie zum See blickte. Irene nieste, schnäuzte sich, indem sie ein Nasenloch zuhielt, wischte mit dem Handrücken nach. Erkältung bereits im Anzug.
    Langwieriges Entladen, schwerfällig jetzt, beide müde. Gary schleppte einige von Irenes Stämmen weiter vom Wasser weg. Schließlich aber war das Boot leer und so leicht, dass sie es an Land ziehen konnten. Sie lehnten sich an den Bug, Rücken zum Wind und zum See, und blickten auf ihren Grund und Boden.
    Das hätten wir vor dreißig Jahren machen sollen, sagte Gary. Hier rausziehen.
    Wir waren am See, sagte Irene. Einfacher in die Stadt, einfacher für die Kinder, Schule und so. Hier draußen kann man keine Kinder haben.
    Kann man schon, sagte Gary. Aber egal.
    Gary war ein Meister des Bedauerns. Jeden Tag gab es etwas, und das mochte Irene vielleicht am wenigsten. Ihr gesamtes Leben in Zweifel gezogen. Das Bedauern etwas Lebendiges, ein Quell in ihm.
    Na, jetzt sind wir ja hier, sagte Irene. Wir haben die Baumstämme hergebracht, und wir bauen das Haus.
    Mir geht es gerade darum, dass wir vor dreißig Jahren hier hätten sein können.
    Ich habe verstanden, worum es dir geht, sagte Irene.
    Tja, sagte Gary. Die Lippen schmal, und er starrte geradeaus in ein Erlendickicht, blieb dort stecken, außerstande, sich von dem Gefühl zu befreien, dass sein Leben anders hätte verlaufen können, und Irene wusste, dass sie selbst Teil dieses großen Bedauerns war.
    Irene versuchte darüberzustehen, versuchte, sich nicht darin zu verstricken. Sie betrachtete das Grundstück, und es war wirklich wunderschön. Schlanke weiße Birken am hinteren Ende, größere Sitkafichten, eine Pappel und mehrere Espen. Das Land hatte Profil, mehrere Anhöhen, und sie sah, wo das Haus stehen würde. Sie würden eine Terrasse vorne anbauen, und an schönen Abenden würden sie zusehen, wie die Sonne über dem Berg unterging, in goldenem Licht. Das würde schon alles hinhauen.
    Wir schaffen das, sagte Irene. Wir können hier ein schönes Haus bauen.
    Ja, sagte Gary schließlich. Dann wandte er sich vom Grundstück ab, blickte in Wind und Regen. Lass uns los.
    Sie schoben das Boot ins Wasser und kletterten über den Bug. Gary am Motor und Irene auf dem Boden, Knie umschlungen im Bemühen, sich aufzuwärmen. Der Rückweg nicht so schlimm, die Wellen hinter ihnen, die Bugklappe jetzt über Wasser, das Boot kein Schleppkahn mehr. Sie schlingerten ein wenig auf jeder Welle, aber kein klatschendes Wasser, keine Gischt. Irene klapperte wieder mit den Zähnen.
    Ein langer Weg von der Insel zum Campingplatz. Gary fuhr langsam, die Pumpe arbeitete. Endlich kamen Campingplatz und Pickup in Sicht, und er schaltete den Motor ab und setzte neben dem Anleger am Strand auf. Die Wellen drückten das Heck hoch und runter und schwenkten es seitwärts.
    Wir könnten den Anhänger losmachen, sagte Gary.Die Wellen sind hier einfach zu groß. Das wird ein Albtraum. Wir könnten das Boot an Land ziehen und an einen Baum binden.
    So machten sie es, und Minuten später waren sie zu Hause. So nah, und hatten so lange gefroren. Umsonst, dachte Irene.
    Gary duschte schnell heiß, und dann ließ sich Irene ein heißes Bad ein. Schmerzhaft, sich hineinzusetzen, die Finger und besonders die Zehen zum Teil taub. Die Hitze, die sie umfing, jedoch köstlich. Irene ließ sich hineinsinken und schloss die Augen, weinte unversehens, vorsichtig, lautlos, mit dem Mund unter Wasser. Dummerchen, sagte sie zu sich. Du kannst nicht haben, was nicht mehr da ist.

N ach dem Mittagessen schaute Jim auf dem Rückweg in die Praxis beim Coffee Bus vorbei, um sich eine Zimtschnecke zu holen. Brauner Zucker, Honig und Nüsse, damit würde er außerdem Rhodas Bruder unterstützen, der das vielleicht nötig hatte. Vor dem Bus wie üblich Leute, die herumlungerten, darunter aber eine Frau, die so schön war, dass er erst zu spät merkte, wie er sie anstarrte, worauf er sich natürlich wie ein Idiot vorkam, was ihn wiederum nervte. Gerade mal halb so alt wie er, doch ihr Blick gab ihm das Gefühl, als stünde sein Pimmel für alle sichtbar im Wind.
    Jim bot ihr sein gewohntes Brummen und den Ansatz eines Lächelns. Die Begrüßung war selten vernehmlich, viele in Soldotna, die ihn nicht richtig kannten, hielten ihn deshalb für einen Menschenfeind, das wusste
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