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Die Unermesslichkeit

Die Unermesslichkeit

Titel: Die Unermesslichkeit
Autoren: David Vann
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Mine nordöstlich von Anchorage, aber auch bei anderen Sammlern und dem ein oder anderen Garagenverkauf erstanden. Weiter hinten an der Wand, links von der Tür, hatte er Holz für den Kamin aufgeschichtet, daneben stand der antike Ofen aus Gusseisen und Nickel, und zwischen Holzstapel und Tür lagerte ein alter Hundeschlitten, dessen Holz und Lederriemen im üppigen Regen, Schnee und Wind und der gelegentlichen Sonne Jahr für Jahr vor sich hin rotteten. Das Gelände rund ums Haus hatte in Rhodas Augen schon immer beschämend nach Müllhalde ausgesehen. Allerdings mochte sie die Blumen und den Moosgarten. Zwölf Moosarten und alle möglichen Varianten alaskischer Wildblumen, selbst der seltenen. Ganze Beete mit Schatten-Schachblumen und Stauden-Feuerkraut und Lupinen in allen Farben von Weiß über Rosa bis zumtiefsten Blauviolett, wobei nur das Feuerkraut zurzeit in Blüte stand.
    Rhoda klopfte noch einmal an die Tür, aber sie waren nicht da. Sie fuhr weiter zum Campingplatz und dem Bootsanleger. Vielleicht erwischte sie sie dort noch, wobei Rhoda nicht begriff, wieso ihre Eltern an einem solchen Tag an ihren Plänen festhielten. Warum blieben sie nicht einfach zu Hause?
    Ihr Wagen kam auf dem Weg hinunter zum Campingplatz leicht ins Rutschen. Rhoda sah den Pickup und fuhr zum Anleger. Kein Boot. Keiner da. Ihre Eltern waren verrückt, bei diesem Wetter rauszufahren. Warum nicht auf einen schöneren Tag warten? Selbst wenn es die Hütte aller Hütten war, die Erfüllung eines Lebenstraums und dieser ganze Quatsch. Rhoda verstand einfach nicht, warum ihre Mutter das alles zuließ.
    Egal, sagte sie und fuhr zurück in die Stadt.
    Rhoda und Jim wohnten in einem großen Haus mit spitzem Dach und Blick auf die Mündung des Kenai River. Einer der Vorzüge ihrer Beziehung mit Jim. Das steile Satteldach erinnerte sie zwar an die Verkaufsbuden von Wienerschnitzel, ließ aber Schnee leicht abgleiten und schuf im Wohnzimmer und hinten im Schlafzimmer eine sieben Meter hohe Gewölbedecke. Die fünf Meter hohen Doppelglas-Fenster fingen die Sonnenuntergänge über dem Cook Inlet ein, und die freiliegenden Balken waren dunkel wie in einer Methalle, das Mobiliar vollständig aus skandinavischem Holz und Leder. Von einem solchen Haus hatte Rhoda früher geträumt.
    Und jetzt wohne ich drin, dachte sie, als sie an derKüchenanrichte kleine Proben Beagle-Kot in Reagenzgläser füllte.
    Musst du das machen, während ich esse, sagte Jim. Er saß auf der anderen Seite der Anrichte vor seinen Pfannkuchen mit Dosenpfirsichen.
    Hab dich nicht so, sagte Rhoda. Ist doch bloß Hundescheiße.
    Jim lachte. Du bist Spitze.
    Nein, du, sagte Rhoda. Sie wohnten erst seit einem Jahr zusammen, also egal. Rhodas Ex-Freund war eine ganz andere Nummer gewesen, ein Fischer, der täglich über die Naturgewalten, die Fischerei-Industrie und die Regierung gejammert und geklagt hatte, allesamt undurchdringlich und herzlos. In einem Jahr war der Preis für Heilbutt zu niedrig, im nächsten die Gebühren für eine neue Fischereizone zu hoch, und jedes Jahr hatte es das Meer persönlich auf ihn abgesehen. Öde Lamentos, zur Belohnung durfte sie in einem kleinen Trailer wohnen und gratis Heilbuttsteaks essen. Während es bei Jim unbegrenzt Dosenpfirsiche und so viel Pfannkuchenmischung gab, wie man sich nur wünschen konnte.
    Rhoda lächelte. Eigentlich war sie glücklich, merkte sie gerade. Einigermaßen zumindest. Sie legte die Plastikspritze hin, näherte sich Jim von hinten und blies ihm leicht ins Ohr.
    Am Ufer des Skilak Lake, kaum eine Meile von der Stelle entfernt, wo seine Eltern mit einer Ladung Baumstämmen durch die Wellen pflügten, zog sich Mark gerademit seiner Freundin Karen und einigen Freunden vom Coffee Bus aus. Er schürte das Feuer, sie hüpften in die Sauna und schlugen die Tür hinter sich zu. Die Sauna stand direkt am See, und von der Tür ging ein schmaler Steg ab; sie war heiß und dunkel, fensterlos, hinter dem Holz mit Dachpappe isoliert, und Sitz- und Fußbank waren so hoch, dass sein Kopf die Decke streifte und größere Menschen sich ducken mussten. Mark hatte ein, zwei noch belaubte Erlenzweige zum Peitschen mitgenommen, und sobald sie ordentlich ins Schwitzen gekommen waren und der Dampf so dicht war, dass sie einander im roten Licht nur noch schwach erkennen konnten, beugte sich Karen vor, Kopf zwischen den Knien, Arme um die Unterschenkel gelegt, und Mark fing an, sie zu peitschen. Das brachte die Durchblutung in Gang.
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