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Die Unermesslichkeit

Die Unermesslichkeit

Titel: Die Unermesslichkeit
Autoren: David Vann
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kalte Wasser, die Wellen schlugen über den Rand ihrer Stiefel, und sie kletterten ins Boot. Irene hielt sich an den Baumstämmen fest, schwang die Beine herein und fragte sich, warum sie das tat. Was an Garys Seite aus ihr geworden war, was in Alaska aus ihr geworden war, woher diese Dynamik rührte, die es ihr irgendwie unmöglich machte, einfach innezuhalten und nach Hause zurückzufahren. Wie war das passiert?
    Gary drückte den Balg für die Gasleitung, zog den Choke, riss am Starterseil. Der Motor sprang sofort an, tuckerte ruhig, spuckte seinen kühlenden Wasserstrom aus und nicht so viel Rauch wie sonst. Ein Viertakter, ein guter Motor, absurd teuer, aber jedenfalls zuverlässig.Das Letzte, was Irene wollte, war, in einem Sturm in der Mitte des Sees zu dümpeln.
    Gary ließ die Bilgenpumpe laufen, ein breiter Wasserstrahl über die Seite, und kurzzeitig schien alles machbar. Dann entdeckte Irene die Delle im Bug. Wo Gary mit dem Truck geschoben hatte, war vorne im Boot eine Delle. Nicht riesig, aber Irene kroch weiter vor, um die Abdichtung zu untersuchen, wo Klappe auf Randplatte traf, und sah Wasser hereintröpfeln. Sie waren so schwer beladen, dass ein Teil der Rampe unter Wasser lag.
    Gary, sagte sie, doch er legte bereits im Halbkreis ab und schaltete dann in den Vorwärtsgang. Er war auf die Fahrt konzentriert und beachtete sie nicht. Gary!, rief sie und winkte mit einem Arm.
    Er legte den Leerlauf ein und kam nach vorne. Knurrte mit zusammengebissenen Zähnen. Kehrte dann aber zum Motor zurück und legte den Gang ein. Kein Wort, keine Diskussion darüber, ob sie weiterfahren oder erst reparieren sollten.
    Gary fuhr nicht schnell, nicht mehr als fünf oder zehn Meilen die Stunde, aber frontal in die Windwellen hinein mit flachem Bug, jede Welle eine harte Gischtwand.
    Irene wendete sich weg von den Wellen, nach hinten zu Gary, doch der blickte ebenfalls nach hinten, orientierte sich beim Steuern an der Küste, die sie verlassen hatten, die langsam in die Ferne wich. Der Pickup noch immer zu sehen durch lichte Bäume. Niemand sonst auf dem Campingplatz. Normalerweise gab es einige Boote und Camper, aber wenn heute etwas passierte, gab es nur sie, das Donnern und Brausen von Wasser allepaar Sekunden, die aufgebockten Stämme, dunkel und durchnässt, die tiefen Seitendecks, den steten Strom von der Bilgenpumpe. Eine neue Art Planwagen beinahe, unterwegs in ein neues Land, um ein neues Zuhause zu errichten.

R hodas klappriger Datsun B210 gehörte nicht auf unbefestigte Straßen. Sie sorgte dafür, bergauf das Tempo zu halten, spürte aber, wie die Räder im Matsch wegrutschten. Und sie sah nichts, nur den Regen, der an ihre Windschutzscheibe prasselte, dahinter unscharf grüne Bäume und die davonkurvende braune Kies- und Schotterstraße. Seit Jahren sah sie sich bei Autohändlern nach einem passenden neuen Pickup um, aber wenn sie dann alles unter Dach und Fach bringen wollte, hatte sie irgendwie nie genug Geld. Eigentlich hätte sie sowieso lieber einen SUV und keinen Pickup. Und da ihr eine Gehaltserhöhung bevorstand sowie die Hochzeit mit einem Zahnarzt, musste sie darauf wohl nicht mehr allzu lange warten.
    Wobei Rhoda an Jim denken musste, der wahrscheinlich gerade Pfannkuchen aß, seine übliche Mahlzeit, und sich fragte, wo sie blieb. Pfirsichhälften aus einer Dose zog, um sie auf seine Pfannkuchen zu legen, und dabei unnötig mit der Gabel übers Blech klapperte. Doch Rhoda fühlte gute Laune aufkommen und wollte sie sich nicht mit dem Gedanken an Jim verderben.
    Als sie das Haus ihrer Eltern erreichte, war der Pickup weg. Sie kam zu spät für den Transport der Holzstämme. Sie stieg trotzdem aus und lief an den Blumenbeeten vorbei zur Tür.
    Rhodas Eltern wohnten in einem kleinen einstöckigen Holzhaus, an das sie über die Jahre an mehreren Stellen angebaut hatten, sodass es ausgebeult wirkte, zusammengestückelt. Rhodas Vater hatte den Traum von Waldläufern und Pionieren im Kopf gehabt, als er mit Mitte zwanzig von Kalifornien hergezogen war, und inzwischen besaß er alle alaskischen Accessoires. Geweihe von Wapitis, Elchen, Karibus, Rothirschen, Hörner von Bergziegen und Dallschafen hingen an Nägeln von der Dachkante und an den Außenwänden. Das erhöhte Beet rechts von der Haustür barg eine alte Handpumpe, eine kleine Wasserrinne und diverse rostige Tiegel, Pickel, Kübel, alte Waschbretter und dergleichen aus Goldgräbertagen, größtenteils heruntergeschleppt von der Hatcher Pass
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