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Die Unermesslichkeit

Die Unermesslichkeit

Titel: Die Unermesslichkeit
Autoren: David Vann
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Richtung zu erkennen, wenn auch nicht genug, um von hier aus die Insel zu sehen, die ein paar Meilen weiter draußen lag. Irene fragte sich, was passieren würde, wenn sie in der Mitte waren. Würden sie überhaupt ein Ufer sehen oder nur Weiß ringsum? Kein GPS an Bord, kein Radar, kein Echolot. Ein See, hatte Gary dem Verkäufer gesagt. Das ist nur ein See.
    Im Boot ist Wasser, sagte Irene, als Gary zurückkehrte. Es sammelte sich unter den Baumstämmen, vor allem am Heck, knapp dreißig Zentimeter von all dem Regen.
    Darum kümmern wir uns draußen, sagte Gary. Ich will die Bilgenpumpe nicht anschmeißen, wenn der Motor aus ist.
    Was ist denn jetzt der Plan?, fragte Irene. Sie hattekeine Ahnung, wie sie das von Stämmen beschwerte Boot ins Wasser schieben sollten.
    Also, ich bin ja hier nicht der Einzige, der das gewollt hat, sagte Gary. Das ist nicht nur mein Plan. Das ist unser Plan.
    Das war eine Lüge, eine zu große allerdings, um ihr gleich hier zu widersprechen, jetzt gleich, im Regen. Schön, sagte Irene. Wie kriegen wir jetzt das Boot ins Wasser?
    Gary blickte eine Weile aufs Boot. Dann ging er in die Hocke und gab ihm einen Stoß. Es regte sich nicht.
    Die vordere Hälfte lag auf dem Trockenen, voll beladen, nach Irenes Schätzung mehrere hundert Kilo schwer. Gary hatte das ganz offensichtlich nicht bedacht. Er reagierte immer von Schritt zu Schritt.
    Gary ging auf die eine Seite, dann auf die andere. Er kletterte über die Baumstämme zum Heck, zum Außenbordmotor, lehnte sich dagegen und drückte fest, versuchte, das Boot zu schaukeln, aber es hätte genauso gut aus Blei sein können. Keine Regung.
    Also kroch er nach vorn, sprang an Land und sah eine Weile das Boot an. Hilf mir schieben, sagte er schließlich. Irene stellte sich neben ihn, er zählte eins, zwei, drei, und beide drückten gegen den Bug. Sie rutschten auf den schwarzen Kieseln aus, aber sonst tat sich nichts.
    Nie kann es mal einfach gehen, sagte Gary. Gar nichts. Es kann nicht einfach mal so klappen.
    Wie zur Bekräftigung nahm der Regen wieder zu, der Wind wurde stärker, blies kalt vom Gletscher her. Wenn man so töricht sein wollte, auszutesten, wie schlimmetwas noch werden konnte, war man hier gut aufgehoben. Irene wusste aber, dass Einwürfe Gary gerade nicht willkommen waren. Sie bemühte sich um Zuspruch. Vielleicht können wir morgen wiederkommen, sagte sie. Da soll das Wetter etwas besser sein. Wir könnten ausladen, schieben und dann neu beladen.
    Nein, sagte Gary. Ich will das nicht morgen machen. Ich bringe die Fuhre heute rüber.
    Irene hielt den Mund.
    Gary stampfte zum Pickup. Irene stand klatschnass im Regen und wollte warm und trocken sein. Ihr Haus ganz in der Nähe, nur einige Minuten entfernt. Heißes Bad, ein Feuer im Kamin.
    Gary fuhr den Pickup auf den Strand, setzte zu den Bäumen zurück, dann hinunter zum Boot, bis die Stoßstange dicht zum Bug aufschloss. Sag Bescheid, wie nah, brüllte er aus dem Fenster.
    Irene ging hinüber und machte ihm Zeichen, und er rollte langsam vorwärts, bis die Stoßstange anstieß.
    Okay, sagte Irene.
    Gary gab etwas Gas, und Kieselsteine spritzten unter den Hinterrädern hervor. Das Boot regte sich nicht. Er schaltete in einen niederen Allradantrieb, gab mehr Gas, alle vier Räder griffen, Kiesel prasselten gegen den Unterboden des Pickup. Das Boot geriet ins Rutschen, glitt dann schnell ins Wasser und trieb in einem Bogen ab.
    Die Bugleine!, schrie Gary aus dem Fenster. Irene rannte zur Leine, die lose am Strand lag. Sie schnappte sie, stemmte die Fersen in den Boden, legte sich auf den Strand und zog, bis der Druck nachließ. Dann blieb sieeinfach liegen und blickte in den dunklen, weißen Himmel. Sie sah den Regen als Streifen, bevor er ihr Gesicht traf. Keine Handschuhe, die Hände kalt und die Nylonleine rau. Die Kiesel und größeren Steine hart unter ihrem Hinterkopf. Ihre Kleidung eine nasse, kalte Außenhaut.
    Sie hörte, wie Gary den Pickup parkte, dann hörte sie seine Stiefel, große, entschlossene Schritte.
    Okay, sagte er, über ihr aufragend. Fahren wir.
    Eigentlich hätte sie gewollt, dass er sich neben sie legte. Sie beide an diesem Strand. Sie würden aufgeben, die Leine loslassen, das Boot treiben lassen, die Hütte vergessen, alles vergessen, was über die Jahre schiefgelaufen war, und einfach zu ihrem Haus zurückgehen und sich aufwärmen und neu anfangen. Das war nicht unmöglich. Wenn sie sich nur beide dazu entschlossen.
    Stattdessen wateten sie ins
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