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Die Ueberlebenden von Mogadischu

Titel: Die Ueberlebenden von Mogadischu
Autoren: Martin Rupps
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gerichtet, die am 18.   Oktober 1977 beginnt, dem Tag eins nach der Befreiung, und bis in die Gegenwart reicht.
    Die Frauen und Männer, die in einem entführten Flugzeug dank glücklicher Umstände am Leben blieben, stehen im Zentrum dieses Buches. Sie kommen vielfach selbst zu Wort, sei es mit Aussagen aus Interviews, sei es mit Schilderungen, die auf Gespräche mit dem Autor im Jahr 2011 zurückgehen.
    Wie ist es den Opfern vom Nachmittag des 18.   Oktober 1977 an ergangen, als sie Frankfurter Boden betraten, um an ihre Heimatorte weiterzureisen? Wie wurde ihnen begegnet?
    Das ist in erster Linie – auch wenn es zunächst nicht so scheint – eine politische Frage, weniger eine Frage nach dem persönlichen Weiterleben der Opfer. Die Passagiere in der »Landshut« waren zwar in privater Absicht, als Urlauber oder als Geschäftsreisende, in Palma abgeflogen, aber ihre Entführer zwangen sie – im buchstäblichen Sinn des Wortes aus heiterem Himmel – in eine politische Rolle. Die Passagiere wurden als ganz normale, überwiegend deutsche Staatsbürger gekidnappt und dabei zum Faustpfand der Demokratie, zum Faustpfand für Terroristen in Deutschland und der Türkei. Zurück in der Bundesrepublik, lebten Beate Keller, Jutta Knauff und die anderen wieder als Privatpersonen, doch ihre politische Rolle verging nicht. Sie führten fortan ein Leben mit der 20 zusätzlichen Identität, politische Geiseln in der »Landshut« gewesen zu sein. Aus der Geiselhaft trugen sie zumeist schwere seelische Verletzungen davon.
    Ein politischer Konflikt war für das traumatische Erlebnis und seine Folgeschäden ursächlich, der Konflikt zwischen den Repräsentanten eines freiheitlich-demokratischen Rechtsstaates und seinen Gegnern. Die staatlichen Repräsentanten haben durch ihre Entscheidungen die Rettung der Geiseln ermöglicht, doch ihre Verantwortung für sie hörte mit der Feierstunde auf dem Frankfurter Flughafen nicht auf.
    Das Buch geht der Frage nach, wie die Politik mit den Geiseln nach deren Befreiung umgegangen ist. Wie wurde sie der Verantwortung gegenüber den Opfern gerecht? In Bezug auf die Hinterbliebenen des Todesopfers der Entführung, die Ehefrau und die zwei Kinder von Flugkapitän Jürgen Schumann, gab es klare Regeln in Gestalt von Gesetzen und Vorschriften, und es gab Motivation zu stillem Engagement. Es war notwendig, einer Familie zu helfen, die ihren Mann und Vater verloren hatte. Die hinterbliebenen Angehörigen des Flugkapitäns waren die Hauptleidtragenden des »Landshut«-Dramas.
    Für die anderen Opfer, die zwar überlebt hatten, aber mit Versehrungen überlebt hatten, die für andere meist unsichtbar bleiben, gab es solche Regeln nicht. Sie hinterließen keine Witwen und Waisen, sie schufen also keinen Fall, auf den man umstandslos deutsche Gesetze anwenden konnte. Sie kamen lebend aus der »Landshut« heraus, aber sie ließen dort ihr Leben vor der Entführung zurück. Die befreiten Geiseln waren Hinterbliebene ihrer selbst. Und das war vom Gesetzgeber nicht vorgesehen. Die große Zahl zwar körperlich gesunder, aber seelisch verwundeter »Landshut«-Opfer stellte die Bundesregierung und die Landesregierungen vor bis dahin nicht gekannte Aufgaben.
    Was, so soll hier gefragt werden, tat die Bundesregierung, um die seelischen Versehrungen zu lindern, die sich im Laufe der Zeit häufig auch als körperliche Beschwerden und Symptome zeigten?
      21 Und wie verhielt sich die Politik zu Forderungen der Betroffenen nach Schmerzensgeld? Wer einen Schaden erlitten hat, so lautete deren Argument, muss entschädigt werden. Wie gingen Regierung und Behörden mit diesem Ansinnen um? Welche Rolle spielte das Verlangen der Geiseln nach Geld bei dem Versuch, seelische Verletzungen erträglicher zu machen?
    Der Konflikt zwischen Politik und früheren Geiseln war nicht nur ein Konflikt um Wiedergutmachungsleistungen, seien es seelische oder finanzielle, sondern hier fand auch ein Konflikt zwischen Generationen statt. Der Umgang mit den »Landshut«-Opfern ist in vielerlei Hinsicht symptomatisch für den Umgang mit politischen und sozialen Phänomenen – etwa mit den Folgen psychischer Gewalt – in den siebziger Jahren. Die politische und gesellschaftliche Elite entstammte der sogenannten »Kriegsgeneration«, ihr gehörten Frauen und Männer an, die den Zweiten Weltkrieg als junge Menschen persönlichkeitsprägend erlebt hatten und die – als Reflex auf diese schlimme Erfahrung – psychische Verletzungen
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