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Die Ueberlebenden von Mogadischu

Titel: Die Ueberlebenden von Mogadischu
Autoren: Martin Rupps
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den ersten zwei, drei gemeinsamen Urlauben auf Mallorca getan. Da wurden noch Erinnerungen ausgetauscht und die unterschiedlichen Wahrnehmungen miteinander abgestimmt. Doch die gemeinsame Erfahrung, Geiseln gewesen zu sein, bleibt der Kitt zwischen ihnen, sie ist unterschwellig immer da.
    »Den intensivsten Kontakt«, erzählt Beate Keller, »haben wir mit Ötte. Wir treffen ihn und weitere Freundinnen und Freunde, die über die Jahre zur Clique gestoßen sind. Wir haben nur einmal eine Ausnahme gemacht, vor zwei Jahren sind wir im September ins Sauerland gefahren. Dort haben wir gemerkt, wie sehr uns die Clique fehlt, und sind vier Wochen später wieder nach Paguera geflogen.«
    Die Stammgäste in Öttes Lokal wissen, was die ehemaligen Schönheitsköniginnen miteinander verbindet. Sie fragen die Frauen schon lange nicht mehr aus. »Wie war das damals?«, wollen nur neue, meist jüngere Gäste wissen, wenn das Trio nach Strandgang und Stadtbummel zu Ötte nach Hause kommt. Dann erzählen die drei bereitwillig von ihren entsetzlichen Erlebnissen und verdrücken Tränen dabei.
    Nicht nur auf der Insel, wo alles begonnen hat, auch zu Hause bleibt die »Landshut«-Entführung gegenwärtig. Für Beate Keller ist der »Old Commercial Room«, ein Restaurant gegenüber dem Hamburger »Michel«, zum zweiten Wohnzimmer geworden. Hier feiert sie ihre runden Geburtstage, hier nimmt sie nach der Spätschicht – sie arbeitet in der Poststelle eines Verlages – ihren Absacker. Im Erdgeschoss des mehrstöckigen Lokals hängen unzählige Fotos von Prominenten, die im »Old Commercial Room« verkehrt haben, darunter ein Bild von Hans-Jürgen Wischnewski, dem einstigen Staatsminister im Kanzleramt und Verhandlungsführer der Bundesregierung während der »Landshut«-Entführung. Das Foto zeigt ihn im Gespräch mit Beate Keller. Die beiden haben sich einmal getroffen, um, wie es Beate Keller sieht, über ihre zweite Geburt und, wie es Hans-Jürgen Wischnewski sah, über eine der größten Herausforderungen seines politischen Lebens zu sprechen. 14 Beate Keller wollte dem Mann, den sie bis heute als ihren Befreier betrachtet, persönlich danken. Und Hans-Jürgen Wischnewski freute sich, ausnahmsweise nicht von einer Geisel aus der »Landshut« beschimpft zu werden.

    Abb.   1 : Im Oktober 1977 fand in der Diskothek »Graf Zeppelin« auf Mallorca ein Wettbewerb von »Schönheitsköniginnen« statt, die bei früheren Ausscheidungen gewonnen hatten. Das Bild zeigt u.a. Jutta Brod ( 2.   v.l.), Diana Müll ( 4.   v.l.), Dorothea Selter ( 4 . v. r.), die Siegerin des Wettbewerbs, und Beate ­Zerbst ( 2.   v. r). Die Schönheitsköniginnen saßen Tage später in der entführten Lufthansa-Maschine »Landshut«. 13

    Jutta Knauff, in Frankfurt zu Hause, ist die Netzwerkerin unter den früheren Schönheitsköniginnen. Sie hält nicht nur zu Beate Keller und Diana Müll Kontakt, sondern auch zu Dorothea Selter, die immer mal nach Mallorca mitkommt. »Wir sind alle ganz unterschiedliche Persönlichkeiten«, sagt Jutta Knauff, der als Ältester in der Gruppe eine natürliche Autorität zufällt. Nicht jede kann mit jeder gleich gut, das wird aus ihrer Erzählung rasch deutlich, doch jede ist jeder wertvoll beim Bewahren einer gemeinsamen Erinnerung.
    Auch das Leben, das Jutta Knauff heute führt, ist ein Leben nach »Mogadischu«. Zwei Jahre nach dem Ereignis trennte sie sich von ihrem Ehemann, was Ende der siebziger Jahre für eine Frau wirtschaftlich schwierig und gesellschaftlich weniger akzeptiert war als heute. Die Trennung sieht sie in einem direkten Zusammenhang mit dem, was nach ihrer Rückkehr aus Mogadischu in ihrer Ehe und in ihrer Familie passiert ist. Nicht nur das Verhältnis zum Partner, auch das Verhältnis zu Tochter und Sohn wurde massiv beeinflusst. Jutta Knauff spricht darüber nach so vielen Jahren keineswegs abgeklärt, sie scheint ihre Entscheidungen, wenn sie darüber erzählt, noch einmal infrage zu stellen. Am Ende sagt sie ein überzeugtes Ja zu dem eingeschlagenen Weg: So, wie es gelaufen ist, war es richtig.
    Die Kundinnen und Kunden von Diana Müll können nicht ­ignorieren, dass deren Geiselhaft sie nach wie vor beschäftigt. Diana Müll betreibt in Gießen ein Kosmetikstudio. Es ist im Wellness-Stil gehalten – freundliche Farben, wohlige Düfte, Beauty-Produkte im Regal. Nur eines stört, ja verstört an diesem Ort, der eigentlich den Alltag vergessen machen soll: Vor der Rezeption steht ein Tisch mit
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