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Die Ueberlebende

Die Ueberlebende

Titel: Die Ueberlebende
Autoren: Kishwar Desai
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neugierige Neunjährige. Die Schwestern waren alle weit weg in ihren Kammern, und da hat Sharda unter dem Schreibtisch in der Bücherei ihren Rock hochgehoben und die Augen zugemacht. Ich habe alles untersucht, fast so wie ein Arzt, als sie die Beine breitgemacht hat und ich das süßeste Dreieck aus Härchen vor mir sah. Es war wie eine Anatomiestunde, als ich es mit der Zeichnung in dem Buch verglich, und dann hat Sharda ganz vorsichtig meine Hand genommen und sie zwischen ihre Beine gesteckt, und ich hatte das Gefühl, dass da eine weiße, klebrige Flüssig keit herauskam. Sie sagte mir, ich solle noch näher kommen, und fragte, ob ich ihre Brüste sehen wollte. Sie waren ganz weiß mit braunen Warzen. Als ich sie berührte, habe ich mich ihr so nahe gefühlt wie noch nie zuvor. Das war ein so schönes Spiel.
    Jede einzelne dieser Erinnerungen ist mit meinen Büchern verknüpft. Wir kannten aber auch andere Spiele. Wir haben oft Geschichten von Prinzen und Prinzessinnen gelesen und sie dann nachgespielt. Ich war der Prinz, und Sharda war die zarte Prinzessin, die ich retten musste. Sie wurde mein Ein und Alles, und obwohl ich doch so viel jünger war, hatte ich das Gefühl, sie beschützen zu müssen. Wir waren schon immer ein bisschen isoliert von den anderen gewesen, und nun gab es einen neuen Grund, warum das so bleiben sollte.
    Manchmal haben wir im Bett gelegen, die Arme so fest um einander geschlungen, dass es schwierig wurde, Luft zu holen … Bis eines Tages … nun, wie soll ich es sagen? Die Dinge ändern sich, die Menschen ändern sich. Sharda war nicht mehr interessiert an meinen ausgiebigen Liebesbekundungen. Oft schlief sie über Nacht nicht in ihrem Bett. Sie hat mir gefehlt. Und dann ist sie für immer fortgegangen. Wie alle anderen.
    Ich bin einsam, wie ich es immer gewesen bin. Das Kind, das sowieso nie hätte geboren werden sollen.
    â—† ◆ ◆
    Die Ordner mit Zeitungsausschnitten und anderem Material, das mit den Morden zu tun hatte, wogen zusammen sechs Kilo. Ich hatte sie in Amarjits Büro ausgehändigt bekommen und schleppte sie zu einem freien Schreibtisch, an dem ich mich in Ruhe mit ihrem Inhalt befassen konnte. Ich wünschte, ich könnte rauchen, doch das würde hier zweifelsohne einen Skandal auslösen. Diese ernsthafte Frau in ihrem Sari und mit der Brille auf der Nase raucht! Tztztz .
    Es war ein weiterer heißer Sommertag, mindestens vierzig Grad im Schatten, der Gefängnishof lag still und verlassen da. Nur ab und zu verkündete das Läuten einer Glocke, dass es im Alltagstrott der Gefangenen Zeit für irgendetwas war. Die Insassinnen waren alle in verschiedene Räume gepfercht, wo sie irgendwelchen Aktivitäten nachgehen mussten, die bessere menschliche Wesen aus ihnen machen sollten – was natürlich nur ein frommer Wunsch war. Entlastete es sie denn von ihrer schlimmen Vergangenheit, wenn sie dort kochten und schrubbten und nähten? Oder wurden sie dadurch besser gerüstet für das Leben außerhalb der Gefängnismauern? Wenn sie überhaupt je die Freiheit wiedersahen.
    Ich hatte Amarjit vorgeschlagen, dass wir versuchen sollten, den Sufi-Sänger Imtiaz Ali zu einem Auftritt im Gefängnis zu überreden, damit die Frauen mal eine Abwechslung hätten. Er hatte mich angesehen, als ob ich vollkommen verrückt geworden wäre. Warum sollte man ihnen irgendein Entgegenkommen zeigen oder ein Gefühl der Normalität vermitteln? Sie wären schließlich hier, damit sie bereuten: um bestraft, und nicht, um unterhalten zu werden. Demnächst würde ich wohl noch Klimaanlagen und einen Schönheitssalon fordern. Ich solle mich auf meinen Fall konzentrieren und keine Reformen des Strafvollzugs anstreben, sagte er. Ich wäre ohnehin nur ehrenamtlich hier, hätte keinerlei Befugnis, mich in irgendwas einzumischen. Diese Frauen waren Diebinnen und Mörderinnen. Sie hatten kein Mitleid mit ihren Opfern gehabt, das sollte ich mir stets vor Augen halten.
    Ich schlug den ersten Ordner auf.
    Â»Ist das der Fall Atwal? Ich bin der hiesige Polizeisuperintendent. Ramnath Singh ist mein Name.«
    Gedankenverloren blickte ich von den blutrünstigen Beweisfotos auf und sah vor mir einen schmächtigen Mann in Polizeiuniform und mit verdächtig tiefschwarzem Haar, das er sich über seine Stirnglatze gekämmt hatte.
    Â»Man hat mich gebeten, Sie einzuweisen. Es
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