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Die Ueberlebende

Die Ueberlebende

Titel: Die Ueberlebende
Autoren: Kishwar Desai
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ab.
    Â»Und, wie war dein Tag?«
    Sie zuckte nur die Achseln.
    Â»Hast du etwas aufgeschrieben?«
    Schweigen. Nach ein paar Sekunden dann schüttelte sie den Kopf.
    Â»Wie geht es dir hier so? Sind deine Verletzungen geheilt? Du kannst ganz unbesorgt mit mir reden. Ich bin wie Löschpapier. Ich sauge alles in mich auf, aber es dringt nichts aus mir heraus.«
    Eine kleine witzige Bemerkung, um ihre Stimmung ein wenig zu bessern. Aber sie sagte immer noch kein Wort, zeigte keine Reaktion bis auf das Zucken ihres Mundwinkels.
    Â»Durga, du hast nicht nach einem Anwalt verlangt. Und du willst nicht mit mir reden. Wie soll dir da irgendjemand helfen?«
    Â»Mir kann keiner helfen.«
    Ihre Stimme überraschte mich. Sie klang heute tiefer als sonst und irgendwie aufmüpfig. Sie war nicht unterwürfig wie zuvor, sondern vielmehr wütend.
    Â»Natürlich kann ich dir helfen. Dafür komme ich schließlich extra von Delhi hierher nach Jullundur.«
    Das schien sie zu überraschen. »Delhi?«
    Â»Kennst du dich in Delhi gut aus?«
    Â»Nein, aber ich hätte eigentlich demnächst dort hinfahren sollen. Bist du mal in Lajpat Nagar gewesen?«
    Â»Oft. Du auch?«
    Â»Jemand, den ich kenne, wohnt dort. Ich hatte … sie eigentlich besuchen sollen.«
    Â»Ganz alleine?«
    Â»Ist es schön in Delhi?«
    Â»Auf jeden Fall besser als hier. Ich bin aus Jullundur davongelaufen, musst du wissen.«
    Â»Bist du von hier weg, um zu heiraten?« Ganz unwillkürlich schwang eine Spur von Neugier in ihrer Stimme mit.
    Â»Oh, nein, es gibt sogar Menschen, die vor einer Heirat davonlaufen. Ich gehöre zu ihnen!«
    Das brachte sie beinahe zum Lächeln, doch dann senkte sich gleich wieder der düstere, verdrießliche Blick wie ein Schleier über ihre Züge.
    Â»Wenn du mir wirklich helfen willst … könntest du mich zu dem Haus meiner Eltern zurückbringen? Ich vermisse meine Zimmer und meine Bücher.«
    Ich erschrak fast über dieses Anliegen. Wie konnte sie den Wunsch haben, in dieses Haus zurückzukehren? Würde es nicht schauderhafte Erinnerungen hervorrufen? Oder war sie wie ein verlorenes Kind, das sich nach einer Stätte sehnt, an der es Trost findet, nach etwas, woran es sich klammern kann, nachdem alles in ihrem Leben ausgelöscht worden war? Möglicherweise hatte sie das Gefühl, das Haus könne es auf irgendeine Weise an ihr wiedergutmachen.
    Â»Ich werde mich um eine Genehmigung bemühen. Was für Bücher möchtest du denn gerne haben?«
    Â»Wenn du in mein Zimmer kommst, siehst du gleich ein ganzes Regal voller Schulbücher. Würdest du mir die mitbringen?«
    In dem kurzen Blick, den sie mir zuwarf, lag eine unendliche Traurigkeit, und ich konnte Tränen in ihren Augen schimmern sehen. War das alles, was sie vermisste? Was war mit ihren Eltern? Ihren Brüdern? Aber das konnte ich sie aus naheliegenden Gründen ja nicht gut fragen.
    Â»Brinda lässt dich grüßen. Sie hat mir eine Mail geschickt.«
    Nun war es an Durga, mich verblüfft anzuschauen. Ein leises Lächeln huschte über ihr Gesicht.
    Â»Hat sie das Baby schon bekommen?«
    Â»Noch nicht.«
    Â»Mandakini. Sie wird sie Mandakini nennen. Mandy.«
    â—† ◆ ◆
    Die Straße, die am Gefängnis vorbeiführte, war in staubigen Dunst gehüllt, und obwohl es schwülheiß war, fröstelte ich. Möglicherweise würde es später regnen. Ich hielt eine Rikscha an – das war die bequemste Art und Weise, in den holperigen, verstopften Straßen voranzukommen, und bat den Fahrer, mich zum Orden der Jungfrau Maria zu bringen.
    Ich war neugierig, ob sich dort seit meiner Schulzeit überhaupt irgendetwas verändert hatte. Die Ordensschule war die einzige englischsprachige Lehranstalt gewesen, auf die nach Höherem strebende Eltern ihre Töchter damals schickten. Der Lehrkörper bestand überwiegend aus Nonnen aus Kerala, deren streng schwarz-weiße Gewänder wir immer wieder zu und zu komisch fanden; ein weiterer Quell der Heiterkeit war der starke Akzent ihrer malaiischen Kolleginnen, in den sich unser Punjabi-Englisch mischte, was eine nicht gerade geglückte Mixtur ergab, ein merkwürdiges Kauderwelsch, das nur den Angehörigen der kleinen Welt unserer Schule verständlich war. » No loffing and tokking« war eine wie ein Refrain immerzu wiederkehrende Ermahnung im Rahmen
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