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Die Tulpe des Bösen

Die Tulpe des Bösen

Titel: Die Tulpe des Bösen
Autoren: Jörg Kastner
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und der Kutscher zügelte die beiden ebenfalls schwarzen Zugpferde kurz vor der Absperrung, die Bickers Männer ein paar Häuser weiter gebildet hatten, damit die Arbeit der Löschgruppen nicht durch neugierige Gaffer behindert wurde. Eine Seitentür der Kutsche wurde geöffnet, und zwei Männer stiegen aus: Joan Blaeu und ein junger Mann, nicht viel älter als zwanzig, sehr schlank und mit glattem Gesicht. Eine gewisse Ähnlichkeit mit dem faltigen, bärtigen Antlitz des Kartenmachers war auf den ersten Blick zu sehen.
    Katoen kannte den jungen Mann, wenn er auch noch nie mit ihm gesprochen hatte. Er war, obwohl er altersmäßig sein Enkel hätte sein können, ein Sohn des Kartenmachers, ebenfalls Joan mit Vornamen und zur Unterscheidung von seinem Vater allgemein Joan Blaeu II. genannt.
    Fassungslos starrten beide auf die Flammen, in denen ein gut Teil dessen, was der ältere Joan Blaeu und sein Vater Willem als ihr Lebenswerk bezeichnen durften, verging. Katoen fragte sich, ob sie von blankem Entsetzen gepackt waren oder bereits ihr kaufmännisches Denken in Gang gesetzt hatten und den entstandenen Schaden überschlugen.
    Ein Teil der Außenwand stürzte ein, und erneut stoben Funken auf, um sich mit dem Wind zu verteilen. Joan Blaeu II. faßte seinen Vater behutsam bei den Schultern und zog ihn ein Stück von dem Feuer fort. Dann entdeckten sie die Gruppe von Nachtwächtern mit Anna in der Mitte und gingen auf sie zu.
    Mit zitternder Hand zeigte der alte Kartenmacher auf Anna. »Sie war es, das weiß ich! Die Tochter des Tulpenhassers ist schuld!«
    Ob er es wirklich wußte oder ob es nur eine Vermutung war, jedenfalls hatte er recht. Es sah so aus, als wollte er sich mit bloßen Fäusten auf Anna stürzen, aber Katoen stellte sich ihm in den Weg.
    »Ah, Mijnheer Katoen«, sagte Blaeu ohne jede Freundlichkeit. Er atmete schwer, und sein Gesicht war schweißnaß. Vielleicht rührte das von der großen Hitze des Feuers her, vielleicht aber auch von seiner Erregung, seiner Verzweiflung, seinem Zorn. »Ihr seid hier, aber Ihr kommt zu spät. Ihr hättet das verhindern müssen!«
    Katoen war klar, daß der Alte nicht ahnte, wie tief der Vorwurf ihn traf, und er wollte es ihm auch nicht erklären. Also sagte er nur: »Glaubt mir, Mijnheer Blaeu, wenn ich gekonnt hätte, dann hätte ich es verhindert.«
    »Ja, schon gut«, brummte der Alte. »Nicht Ihr seid schuld, sondern die da!« Wieder schleuderte er Anna zornige Blicke zu. »Sie ist es doch gewesen, nicht wahr?«
    »Ja, Mijnheer«, sagte Sergeant Bicker, der zu ihnen getreten war und dem Kartenmacher auf ähnliche Weise Bericht erstattete wie zuvor Katoen.
    Als der Sergeant geendet hatte, sagte Blaeu: »Anna Swalmius, das werdet Ihr mir büßen! Ich werde Euch vor Gericht bringen und dafür sorgen, daß Ihr ebenso verbrannt werdet, wie Ihr mein Haus, mein Geschäft verbrannt habt!«
    Das schien Anna nicht im mindesten zu treffen. Sie streifte den Kartenmacher nur mit einem kurzen Blick, dann galt ihre ungeteilte Aufmerksamkeit wieder der heißen Waberlohe.
    Joan Blaeu wandte sich an Katoen. »Ihr bürgt mir dafür, daß dieses Weib im Rathaus eingesperrt wird, bis man ihm den Prozeß macht!«
    Katoens erster Impuls war, ihm zu widersprechen, ihn zu bitten, Anna seiner persönlichen Obhut zu übergeben. Aber ihm war klar, daß Blaeu sich darauf nicht einlassen würde, nicht hier und nicht jetzt. Er mußte eine andere Gelegenheit suchen, um sich für Anna zu verwenden. Wenn er jetzt widersprach, würde der Kartenmacher nur mißtrauisch werden und kraft seiner Autorität als Ratsherr vielleicht sogar dafür sorgen, daß Anna in fremden Gewahrsam übergeben wurde. Dann brachte er sie schon lieber selbst in den Geißelkeller. Wie furchtbar es dort auch sein mochte, er konnte wenigstens versuchen, ihr die Haft so erträglich wie möglich zu gestalten.
    »Ich werde den Amtsrichter Schuiten aufsuchen und Anzeige gegen Anna Swalmius erstatten!« Das brachte der Kartenmacher vor wie einen Schwur. Dann blickte er zu dem brennenden Haus hinüber, und seine Augen wurden feucht.
    Katoen sagte leise: »Eine Frage, Mijnheer Blaeu: Hattet Ihr die Seekarte von der Tulpenküste und das Manuskript des Kreuzfahrers hier aufbewahrt?«
    »Ja, in einem sehr guten Versteck.« Der Kartenmacher sah ihn verwundert an. »Aber was spielt das jetzt noch für eine Rolle?«
    Eine große, dachte Katoen, als er Anna ansah. Blaeu und er hatten leise gesprochen, aber sie hatte trotzdem alles
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