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Die Tulpe des Bösen

Die Tulpe des Bösen

Titel: Die Tulpe des Bösen
Autoren: Jörg Kastner
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St.-Sebastians-Schützengilde, gern zu Diensten«, stellte er sich vor. »Ich habe alles gehört und konnte nicht tatenlos mit ansehen, wie diese Strolche einen Vertreter der Obrigkeit angreifen.«
    »Eure Hilfe ist willkommen, wenn auch etwas spät, Mijnheer Nuyens. Diese Frau hier hätte sich auch darüber gefreut.«
    Der Mann im Nachthemd streichelte den Lauf seiner alten Arkebuse. »Ich habe meine treue Malwine lange nicht mehr benutzt. Mußte sie erst hervorholen und schußbereit machen. Aber ich habe noch ein gutes Auge, wie? Haltet nur den zweiten Strolch etwas hin, bis ich nachgeladen habe, und ich will sehen, ob ich ihm die Rübe wegpusten kann.«
    Darauf wollte Dircks es nicht ankommen lassen. Blitzschnell machte er kehrt, war mit zwei flinken Sätzen bei der Nachtläuferin und hielt ihr den Dolch an die Kehle. »Wirf deinen Stockdegen weg, Katoen, sofort!«
    Statt der Aufforderung zu folgen, trat Katoen langsam auf Dircks zu. »Weißt du nicht, daß ich mir nicht sonderlich viel aus Dirnen mache, Dircks? Amsterdam ist voll von ihnen, da kommt es auf eine mehr oder weniger nicht an. Mag sie ruhig draufgehen, Hauptsache, ich erwische dich!«
    Mit aufgerissenen Augen verfolgte die Nachtläuferin, wie Katoen näher und näher kam, und auch Dircks starrte ihn ungläubig an.
    »Das meinst du nicht ernst, Katoen«, sagte er, aber das Schwanken in seiner Stimme verriet seine Unsicherheit. »Du willst mich hereinlegen. Immerhin wollest du Betje eben noch helfen.«
    »Da wußte ich auch noch nicht, daß ich Gelegenheit haben würde, mit dir abzurechnen, du Ratte!«
    Ein hektisches Flackern trat in die tiefliegenden Augen des Kupplers. »Ein Schritt noch, und die Kleine stirbt!«
    »Ja, und was dann?« fragte Katoen, ohne stehenzubleiben. »Dann kriege ich dich sogar wegen Mordes dran. Das erspart dir natürlich das Rasphuis. Tote werden dort nicht aufgenommen. Aber ich komme gern sonntags zu dir raus nach Volewijk.«
    Die Unsicherheit des Kupplers wuchs, und sein Zögern kam Katoen zupaß. Ein Sprung nach vorn, ein schneller Stoß mit dem Degen, und Dircks widerfuhr das, was er der Nachtläuferin angedroht hatte: Die Klinge durchbohrte seinen Hals.
    Der Kuppler starrte Katoen erschrocken, fast vorwurfsvoll an. Er öffnete die Lippen, aber was immer er auch hatte sagen wollen, es ging in dem Blutschwall unter, der sich aus seinem Mund ergoß.
    Katoen zog seine Klinge zurück, und gleich darauf fiel Dircks neben der Dirne zu Boden, wo er sich in krampfhaften Zuckungen wälzte.
    »Wenn es dich tröstet, Dircks, du bist gleich hinüber«, sagte Katoen. »Für einen wie dich geht es beinahe zu schnell.«
    Er lehnte seinen Stockdegen an die Hauswand und half der Dirne auf, die ihm zitternd und weinend in die Arme sank. Zu seinem Erstaunen stellte er fest, daß er bei der Berührung keinen Ekel empfand, nicht einmal Widerwillen. Sie war ein Mensch in Not, nicht mehr, aber auch nicht weniger.
    Sanft schob er sie von sich weg und wandte sich dem alten Mann im Fenster zu. »Mijnheer Nuyens, ich muß weiter. Nehmt die Frau zu Euch ins Haus, gebt ihr eine Decke und einen Schnaps. Dann ruft ihr einen Arzt und alarmiert die Nachtwächter. Wenn die Fragen haben, sollen sie sich morgen im Rathaus an mich wenden.«
    »Jawohl, zu Befehl, sehr gern«, rief der Alte eifrig.
    Katoen hörte ihn schon nicht mehr, er rannte zurück zur Kalverstraat.
    Als er von der Kalverstraat auf den Dam hinauseilte, ahnte er, daß er zu spät kam. Er sah das große, zuckende, rote Licht hinter der Nieuwe Kerk, als hätte sich dort ein Tor zur Hölle aufgetan. Und schon hörte er die Signalstöße der Trompeter auf den Wachttürmen, gefolgt von dem durchdringenden, halb sirrenden, halb klappernden Geräusch, das die Rasseln der Nachtwächter machten. Wieder und wieder hallte der Schrei über den Dam: »Feuer!«
    Hinter zahlreichen Fenstern gingen Lichter an, Haustüren wurden aufgerissen, und die Menschen, viele noch im Schlafrock oder nur halb angekleidet, stürzten ins Freie, sahen sich um, fragten ängstlich die Nachbarn, was los sei.
    Wie in allen großen Städten, wo die Häuser dicht beieinanderstanden, in schmalen Gassen häufig sogar so eng, daß die Dächer sich fast berührten, war das Feuer ein gefürchteter Feind. Ein Teufel, unberechenbar und bösartig, der binnen kürzester Zeit ganze Stadtviertel zerstören und die Lebensgrundlage Tausender Menschen vernichten konnte.
    Katoen drängte sich durch die Trauben von Schaulustigen, die sich auf
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