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Die Tulpe des Bösen

Die Tulpe des Bösen

Titel: Die Tulpe des Bösen
Autoren: Jörg Kastner
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vielleicht noch weniger. Aber dann fielen Annas Worte ihm wieder ein: »Du mußt deiner Mutter verzeihen, was sie gewesen ist und was sie getan hat. Wer weiß, was sie zu dem gemacht hat, was sie war. Vielleicht war sie genauso unglücklich darüber wie du.« Hatte Anna recht? Hatte er sich sein Leben lang in den Haß auf seine Mutter, den Haß auf alle Dirnen dieser Welt, verrannt?
    Wieder schlug der Kuppler zu, und sein Opfer heulte auf wie ein getretener Hund. Natürlich war das unmöglich, aber Katoen stellte sich vor, daß es seine Mutter war, die dort in der dunklen Gasse verprügelt wurde.
    Er ging näher heran und rief: »Aufhören! Sofort aufhören!«
    Die Gasse mündete in einen kleinen Hof, in den das Licht aus einem Fenster im Erdgeschoß eines der angrenzenden Häuser fiel. Der brave Bürger hinter dem Fenster war vielleicht durch den Lärm, den der Kuppler und die Nachtläuferin veranstalteten, geweckt worden, wagte aber nicht einzuschreiten.
    Die Dirne kauerte nicht weit von dem Fenster entfernt am Boden. Sie hatte einen üppigen Körper und trug ein rotes Kleid, das ihre vollen Brüste mehr entblößte als verdeckte. Ob sie auch hübsch war, konnte Katoen nicht erkennen, so blutig hatte der Kuppler ihr von wirrem, hellem Haar umrahmtes Gesicht geschlagen.
    Oder die Kuppler, denn gleich zwei Männer standen bei ihr und blickten Katoen erstaunt entgegen. Den einen kannte er nicht. Er war jung und feist, ein wahres Kraftpaket, stiernackig und mit Armen so dick wie bei anderen die Oberschenkel. Der andere aber, dessen Stimme Katoen eben gehört hatte, war ihm nur zu gut bekannt.
    »Jaepke Dircks!« stieß er hervor.
    »Mijnheer Katoen!« sagte Dircks spöttisch und deutete eine Verbeugung an. »Freut mich, Euch zu sehen. Nun wird es vielleicht doch noch eine angenehme Nacht.«
    »Für Euch sicher nicht«, erwiderte Katoen. »Nicht nach dem, was ich hier gesehen habe. Diesmal, Dircks, wandert Ihr ins Rasphuis!«
    »Und Ihr ins Jenseits, Herr Amtsinspektor«, entgegnete Dircks und zog mit einer schnellen Bewegung einen Dolch aus seinem Stiefel.
    »Das ist ein Amtsinspektor?« fragte der Feiste, der eine seltsam hohe Stimme hatte, fast die einer Frau. »Bist du verrückt, Jaepke, dich mit dem anzulegen?«
    »Ganz und gar nicht. Das ist der Amtsinspektor Jeremias Katoen, und sein Kopf ist fünftausend Gulden wert.«
    Das war Katoen neu, und er fragte: »Wer hat den Preis ausgesetzt?«
    »Ein enttäuschter Tulpenzüchter.«
    »Willem van Dorp?«
    »Derselbe«, sagte Dircks mit einem falschen Lächeln und kam langsam auf Katoen zu.
    »Das ist was anderes«, meinte der Feiste mit der hohen Stimme. »Machen wir halbe-halbe?«
    »Klar doch, Truus«, antwortete Dircks. »Wir nehmen ihn uns von zwei Seiten vor, dann haben wir leichtes Spiel. Paß nur auf seinen Stock auf, das ist nämlich ein verkappter Degen!«
    »Für die Hälfte von fünftausend Gulden ist mir das gleich«, piepste Truus und bückte sich nach etwas, das hinter ihm lag. Es war ein Stück Holz, Abfall wohl, ungefähr so lang wie ein Arm und in den Händen des kräftigen Kerls eine nicht zu unterschätzende Waffe.
    Dircks und sein Kumpan kamen langsam auf Katoen zu, darauf bedacht, daß sie beide den gleichen Abstand zu ihm einhielten. Katoen drückte auf den kleinen Knopf an seinem Stockgriff und zog die Scheide von der Degenklinge. Er schleuderte sie nach dem Feisten, den er für unbeweglicher hielt als Dircks. Tatsächlich streifte das Holz den Kopf seines Gegners, aber Truus zeigte sich davon wenig beeindruckt.
    »Ich habe immer gewußt, daß ich dich eines Tages zwischen die Finger kriege, Schnüffler!« zischte Dircks. »Ich habe die Peitschenhiebe nicht vergessen. Daß ich mich endlich an dir rächen kann und dafür auch noch ein kleines Vermögen kassiere, zeigt, daß es noch Gerechtigkeit gibt.« An seinen Komplizen gewandt, fügte er lauter hinzu: »Los, Truus, auf ihn!«
    Aber noch lauter als Dircks’ Stimme war eine Detonation, die über den Hinterhof rollte. Truus machte tatsächlich einen Satz nach vorn, doch er griff nicht Katoen an, sondern stürzte vornüber zu Boden. In seinem Rücken klaffte ein großes Loch.
    Erst jetzt bemerkte Katoen, daß das erleuchtete Fenster geöffnet worden war. Darin lehnte ein weißbärtiger Mann im Nachthemd, eine weiße Zipfelmütze auf dem Kopf und in den Händen einen veritablen Schießprügel, aus dessen Mündung sich kräuselnder Rauch aufstieg.
    »Ambrosius Nuyens, ehemals Mitglied der
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