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Die Tulpe des Bösen

Die Tulpe des Bösen

Titel: Die Tulpe des Bösen
Autoren: Jörg Kastner
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dem eben noch leeren Dam bildeten, und lief zur Gravenstraat, wo er das Unglück in seinem ganzen schrecklichen Ausmaß sah. Ein großes Gebäude brannte lichterloh, und er erkannte auf den ersten Blick, daß dort nichts mehr zu retten war.
    Aus den Türen, aus jeder Fensteröffnung züngelten die Flammen, leckten gierig an den Mauern empor, fraßen sich weiter und weiter in ihrer höllischen Unersättlichkeit. Von dem, was kurz zuvor noch die Werkstatt des berühmten Kartenmachers Joan Blaeu gewesen war, blieb nichts als ein riesiger Feuerschlund, der alles verschluckte, was seinen unzähligen heißen roten Zungen zu nahe kam.
    Auch die Brandmeister, die herbeigeeilt waren, hatten die Lage erfaßt und wiesen die aus Männern der Nachbarschaft bestehenden Löschgruppen an, ihre Bemühungen ganz auf den Schutz der angrenzenden Häuser zu richten. Menschenketten bildeten sich, und Ledereimer, gefüllt mit Wasser aus dem nahen Nieuwezijds Voorburgwal, wanderten von Hand zu Hand zu den gefährdeten Gebäuden.
    Leitern wurden herangebracht und an die Nachbarhäuser der brennenden Druckwerkstatt gestellt, und riesige Feuertücher wurden über die Gebäude gezogen, um anschließend mit Wasser besprengt zu werden. Lautes Gebimmel kündigte das Nahen einer Feuerspritze an, die, von zwei stämmigen Pferden gezogen, gleich darauf auch schon um eine Ecke kam. Mit geübten Griffen wurde sie in Stellung gebracht, um die Dächer zu besprengen. Nur den umsichtigen Brandmeistern, die mit ihren langen Stäben die Arbeiten dirigierten, war es zu verdanken, daß alles so geordnet und reibungslos ablief und sich nicht in ein wildes Drunter und Drüber verwandelte.
    Katoen nahm das alles eher beiläufig auf, während sein Blick unentwegt die Menge absuchte, bis er sie schließlich sah, inmitten einer Gruppe von Nachtwächtern: Anna!
    Sie trug die Männerkleidung, die er in ihrer Kammer gesucht und nicht gefunden hatte. Ihren Hut hatte sie verloren, das lange dunkle Haar flatterte im Nachtwind. Zwei Nachtwächter hielten sie an den Armen fest, und das Rapier samt Bandelier hatte man ihr abgenommen. Einer der Nachtwächter hielt es in Händen und sah es sich gerade aus der Nähe an.
    Anna schien es gleichgültig zu sein, daß die Männer sie festhielten. Ihr Blick hing unverwandt an dem Haus, das in einer Schnelligkeit den Flammen zum Opfer fiel, als sei es aus Zunder erbaut. Das viele Papier und Holz, der Leim, das alles brannte wohl tatsächlich wie Zunder. Bald stürzte das Dach ächzend und krachend in sich zusammen, und Tausende von Funken stoben auf, flogen durch die Nacht wie ausschwärmende Glühwürmchen.
    »Patrouilliert in den angrenzenden Straßen!« wies ein Brandmeister eine Gruppe Feuerhelfer an. »Paßt auf, daß der Funkenregen dort nicht neue Brände entfacht!«
    Katoen kämpfte sich durch die Löschgruppen und wurde nur darum nicht von den Nachtwächtern aufgehalten, weil sie ihn erkannten. Als er endlich die Gruppe erreichte, in deren Mitte Anna stand, suchte er vergebens nach Worten. Er wußte, warum sie das getan hatte, er verstand es sogar, aber gutheißen konnte er es nicht. Sie hatte Leben und Eigentum vieler Amsterdamer Bürger in Gefahr gebracht.
    Melchior Bicker, ein schnauzbärtiger Sergeant der Nachtwache, den Katoen recht gut kannte, trat auf ihn zu. »Inspektor Katoen, wie seid Ihr so schnell hergekommen? Hattet Ihr etwa um diese unchristliche Zeit noch im Rathaus zu tun?«
    »Ich war in der Nähe«, sagte Katoen ausweichend und zeigte auf Anna. »Was ist mit der Frau?«
    »Die? Eine Hexe ist das, eine wahre Teufelin! Sie hat den Brand gelegt, das können meine Männer bezeugen. Die Wahnsinnige hat eine Fensterscheibe eingeschlagen, ist in die Werkstatt des Kartenmachers Blaeu eingedrungen, hat dort überall Lampenöl vergossen und es am Ende angezündet. Meine Leute konnten sie aus dem Haus herausholen, aber den Brand selbst konnten sie nicht mehr löschen. Das Öl hat dafür gesorgt, daß die Flammen in weniger als fünf Minuten auf das ganze Gebäude übergesprungen sind.« Eigentlich war Bicker ein gutmütiger Mann, und Katoen kannte den korpulenten Endvierziger mit den rosigen Pausbacken als fröhlichen Zecher, aber jetzt war er zutiefst erbost, und das sonst freundlich dreinblickende Gesicht verhärtete sich, als sein Blick auf Anna fiel. Er spuckte verächtlich aus. »Am besten wär’s gewesen, wir hätten das Weibsstück da drin verbrennen lassen!«
    Eine schwarze Kutsche ratterte über das Pflaster,
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