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Die Tuerme des Februar - Phantastischer Roman

Die Tuerme des Februar - Phantastischer Roman

Titel: Die Tuerme des Februar - Phantastischer Roman
Autoren: Tonke Dragt
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Februar)
    Plötzlich sah ich das Meer.
    Über dem Wasser hingen dunkle Wolken; sie zogen landwärts und über dem Horizont bildete sich ein heller Streifen. Die See war silbergrau und ruhig. Vor mir lag ein breiter Strand.
    Es war also gerade Ebbe. Ebbe, sagte ich, und es klang wie ein neues Wort, das ich gerade kennen gelernt hatte. Mir war kalt. Die See rauschte leise; ich roch die salzige Luft und wusste trotzdem nicht sicher, ob dies nun wirklich die See war. Meer und Strand. Muscheln. Fußspuren im Sand. Ich schaute, ich horchte, ich überlegte.
    »Wie bin ich hierher gekommen? Was soll ich hier eigentlich? Meine Füße tun mir weh. Und ich weiß nicht mehr, wer ich bin .«
    Ich bekam einen Schrecken; irgendwie schaltete ich nicht richtig.
    Doch plötzlich erinnerte ich mich an alles, nur sehr undeutlich und verworren. Es ist mir unmöglich, das aufzuschreiben.
    Der alte Mann sagt, dass ich es trotzdem versuchen soll. Ich habe ihm davon erzählt und nun wird er mir helfen.
    Ich sah noch einmal das Meer . Diesmal stand ich dicht vor den Wellen und es war dämmerig. Irgendjemand schrie mir etwas ins Ohr. Es war etwas Wichtiges; ich glaube, ich hätte darauf antworten müssen. (Der alte Mann erkundigte sich, wer es denn gewesen sei und was er mir zugerufen habe – aber ich weiß es nicht mehr, wirklich nicht. Vielleicht war ich es selbst, der gerufen hat. Ach nein, ich habe es ja nicht einmal verstanden!) Dann begann es zu sausen und zu brausen; die See wurde wild und die Welt drehte sich wie wahnsinnig um mich herum. Ich bekam Angst, dass ich ertrinken könnte; ich wandte mich um und lief davon. Ich wollte rennen, aber ich konnte nur mit Mühe vorwärts kommen. Vor mir sah ich Hügel liegen.
    Endlich blieb ich am Fuß der Hügel stehen, vor einem schmalen Sandweg, der in vielen Windungen nach oben führte. Ich blickte zurück. Die See war silbergrau und spiegelglatt; sie lag in düsterem Tageslicht. In der Ferne sah ich ein Schiff.
    Ich schaute noch einmal hin: wieder ein wildes Wellenspiel, Dämmerung und kein Schiff am Horizont.
    Wahrscheinlich war nie ein Schiff da, dachte ich. Was mach ich hier überhaupt? Ich muss wieder zur See zurück.
    Doch dann sah ich das Schiff von neuem. Das merkwürdigste Schiff, das ich je gesehen habe. Das einzige Schiff, das ich je gesehen habe. Nun traute ich mich nicht mehr zurück zum Strand; ich kletterte die Hügel hinauf. Ein breiter, befestigter Weg führte geradewegs nach oben. Ich stieg ein Stückchen empor und sah mich dann wieder um. Kein Schiff weit und breit.
    Habe ich den Verstand verloren?, dachte ich. Ich muss zurück. Oder weg. Aber wohin?
    Ich stieg langsam weiter. Meine Angst nahm allmählich ab, und als ich ganz oben angekommen war, blickte ich noch einmal zurück. Das Schiff war wieder da; jetzt war es sogar ein Stück näher gekommen. Schiff, See, Strand … Es gab also doch Dinge, die ich noch wusste. Das Schiff verflüchtigte sich nicht. Sollte ich ihm zuwinken? Ich fühlte mich sehr allein.
    Der Weg ging weiter; er führte in eine Talmulde, stieg dann wieder an und schlängelte sich zwischen sandigen Hügeln dahin. Ein Hügel folgte dem anderen und alle waren mit struppigem Gras bewachsen. Hier und da gab es auch ein paar stachelige Sträucher. Kein Mensch war zu sehen.
    »Ich bin ein Mensch, und ich wische mir übers Gesicht, das nass ist von Schweiß. Und doch ist mir kalt. Ich weiß nicht, wer ich bin – mein Kopf ist wie ausgehöhlt .«
    Ich schaute über die verlassenen Hügel, auf die geheimnisvolle See und zu den grauen Wolken empor.
    »Hinter den Wolken scheint die Sonne – also ist es Tag. Eben jedoch war es noch Nacht, oder vielmehr Dämmerung …«
    Ich schloss meine Augen und öffnete sie wieder. Ich betrachtete meine Hände; sie waren jung und stark. Ich steckte sie in meine Hosentaschen, kehrte der See den Rücken und lief langsam den Pfad hinunter. Erst nach einer Weile drang es in mein Bewusstsein durch, dass wieder kein Schiff da gewesen war, als ich mich das letzte Mal umgedreht hatte. »Kein Schiff«, murmelte ich und dann nannte ich Namen: »See, Luft, Strand, Dünen.« Wieder etwas Neues, das ich wusste: Ich ging durch die Dünen .
    Ich fing an, laut aufzuzählen: »Januar, Februar, März April …« Ich wiederholte die Worte noch einmal und wusste plötzlich, dass es sich nicht um Zahlen handelte. » Januar, Februar … Ich bin also doch nicht durchgedreht, denn zählen, das kann ich: eins, zwei, drei, vier!«
    Aber was bedeuten
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