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Die Tränen der Massai

Die Tränen der Massai

Titel: Die Tränen der Massai
Autoren: Frank Coates
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überraschte es Jack, festzustellen, dass es sich in einem gepflegten Garten befand. Scheinwerfer beleuchteten die Bäume und die Umgebung. Das Ganze kam ihm seltsam vertraut vor.
    Sie gingen durch das Gartentor, und dann fiel es ihm ein. Das hier war wie in Honolulu. Der gepflasterte Hof. Die kahlen, geriffelten Stämme von Palmen. Die Hibiskusbüsche. Er blieb an der Steintreppe stehen, die zur Terrasse führte.
    »Was ist denn?« Bear war bereits oben.
    Jack wurde kalt. Selbst die Musik war die gleiche. Pumpende Gitarren, harsche, antreibende Texte. »She drives me crazy.«
    »He, Jack, alles in Ordnung?«
    Er starrte Bear an. Was konnte er schon sagen? Einige Zeit verging. Bear runzelte die Stirn, aber bevor er noch ein Wort herausbringen konnte, rief Jack: »Meine Brieftasche!«
    »Ich hab dir doch gesagt, mach dir keine Gedanken.«
    »Nein. Die Straßenjungen. Ich sollte sie lieber holen.«
    Bear zuckte die Achseln und warf ihm die Schlüssel zu. »Wie du willst. Ich bestelle schon mal.«
    Jack drehte sich um und eilte den Weg entlang zur tröstlichen Anonymität der dunklen Straße.
     
    Der Junge, den Bear bezahlt hatte, um auf das Auto aufzupassen, war nirgendwo zu sehen. Jack öffnete die Beifahrertür und holte seine Brieftasche heraus. Dieser Teil der Straße war ruhig und schlecht beleuchtet. Jack beschloss, eine Weile zu bleiben. Die Panikattacken waren seltener geworden, aber wenn es passierte, musste er etwas unternehmen, oder er lief Gefahr, vollkommen die Nerven zu verlieren.
    Er wischte sich die Stirn ab. In den Tagen und Wochen nach seiner Rückkehr aus Honolulu hatte die Angst ihn mit der gnadenlosen Entschlossenheit eines hungrigen Raubtiers verfolgt. Es war ihm schwer gefallen, sich zu konzentrieren, und er hatte jeden wachen Augenblick damit verbracht, sich die Einzelheiten dieses letzten Abends in Hawaii wieder und wieder vor Augen zu führen.
    Er versuchte nicht, seine Verantwortung wegzurationalisieren. Er hatte gewusst, dass diese Frau gefährlich war. Er hätte jederzeit gehen können. Aber er war von ihrer rohen Sexualität fasziniert gewesen, von ihrer Art, die aktive Rolle zu übernehmen, ihre Abenteuer zu initiieren.
    Er war kein besonders leichtsinniger Mensch, aber bei dieser Gelegenheit hatte er sich gestattet, alle Vorsicht in den Wind zu schlagen, obwohl all seine inneren Warnsignale leuchteten. Sie hatte ihn weiter und weiter getrieben. Er hätte aufhören können. Er hätte wenigstens versuchen sollen, sie in diesem letzten verwegenen Moment abzulenken, als sie ihn zu ihrem Komplizen gemacht hatte.
    Liz war das unschuldige Opfer dieses Versagens. Er konnte den Gedanken daran, wie sehr es sie quälen würde, wenn sie es herausfände, nicht ertragen. Nun sah er sie vor sich, wie so oft: das goldblonde, schulterlange Haar, das traurige Lächeln. Sie hatte gewusst, dass etwas nicht stimmte, glaubte aber, es läge an ihrer Beziehung. Dachte vielleicht sogar, dass es ihr Fehler war.
    »Jack, was ist passiert? Was habe ich getan?«
    »Du hast nichts getan, Liz. Das schwöre ich.«
    »Was dann?«
    Er wollte sie nicht anlügen. Er hatte sie immer noch gern. Auf gewisse Weise liebte er sie sogar. Aber jetzt war es anders – alles war anders. »Liz … ich … ich bin nicht … ich brauche Zeit, okay?«
    »Jack.« Sie sah ihm in die Augen, bis er das Gefühl hatte, es keinen Moment länger ertragen zu können. »Ich will, dass es wieder so ist wie früher.«
    Über seine Schuldgefühle gegenüber Liz hätte er vielleicht hinwegkommen können, wenn er ihr alles gestanden hätte. Es hätte Zeit gebraucht, den Mut zu fassen, aber er war tief im Herzen überzeugt, dass sie ihm verziehen hätte. Aber das war längst nicht alles gewesen. Ganz gleich, wie sehr er sich wünschte, dass es anders wäre, er hatte sich psychisch unwiderruflich verändert. Honolulu hatte eine Lötlampe an seinen Teflonüberzug gehalten. Darunter befand sich eine Person, die er nicht erkannte.
    Sein altes Ich wollte mit Liz sprechen, wollte sie trösten, ihre Verzeihung erbitten und wenn möglich wieder zu einem normalen Leben zurückkehren. Aber in diesen sechs Tagen in Honolulu hatte er eine Intensität der Gefühle erlebt, zu der er sich bis dahin für unfähig gehalten hatte. Er sah sein vergangenes Leben deutlich vor sich – eine durchschnittliche Kindheit, vorstädtische Normalität –, ebenso wie die Zukunft: Heirat mit Liz, eine Hypothek, Kinder.
    Und er wusste jetzt, dass ihm das nicht mehr genügen
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