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Die Tränen der Henkerin

Die Tränen der Henkerin

Titel: Die Tränen der Henkerin
Autoren: Sabine Martin
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stärker, tollkühner und vor allem skrupelloser war als alle anderen. Und absolut furchtlos. Hatte er nicht am Ende sogar dem hohen Gericht unter dem Vorsitz des ehrenwerten Grafen Ulrich III. höchstselbst getrotzt? War er nicht unter aller Augen dem Henker entwischt, als dieser bereits das Richtschwert über seinem Haupt erhoben hatte?
    Othilia hob die Hand, und sofort erstarb jeglicher Laut. Die Gäste schauten sie erwartungsvoll an. Ein Verrat hatte Ottmar unter das Richtschwert gebracht, zweifellos die Tat einer seiner vielen Gegner. Die Tat eines Feiglings, der sich nicht getraut hatte, sich de Bruce in einem fairen Zweikampf zu stellen. Othilia schloss für einen Moment die Augen. Auch sie selbst hatte Ottmars ungeheure Stärke und Willenskraft mehr als einmal zu spüren bekommen. Wie ein Tier war er in der Nacht, als sie seinen Sohn empfangen hatte, über sie hergefallen und hatte sie in seinem rasenden Strudel der Leidenschaft mitgerissen. Danach hatte sie jeden Tag sehnsüchtig auf die Nacht gewartet, auf das niemals verlöschende Feuer seiner Lenden. Gegen Ottmar waren alle anderen Männer weibische Jammerlappen – auch von Säckingen, der seinen Herrn in ihrem Schlafgemach zwar nicht schlecht vertrat, gegen diesen dennoch wie ein blasses Abbild wirkte.
    Sie unterdrückte einen Seufzer. Ein Lebenszeichen, das war alles, was sie sich wünschte, ein Lebenszeichen ihres geliebten Ottmar. Wenn sie nur wüsste, dass es ihm gut ging, würde sie auch weiterhin klaglos das Dasein unter all diesen verderbten Raufbolden ertragen, bis der Tag kam, an dem er im Triumphzug auf die Adlerburg zurückkehrte.
    Der Koch näherte sich mit gesenktem Haupt, blieb gute fünf Ellen vor Othilias Platz stehen und fiel dann auf die Knie.
    »Bist du Herr einer Salzgrube, Mann?«
    Der Koch hob vorsichtig den Kopf. »Herrin, verzeiht, nein, warum …«
    »Page! Einen Löffel für den Stümper, der sich Koch schimpft!« Othilia zeigte auf die Pastete. »Er soll selbst kosten.«
    Angstschlotternd nahm der Koch den eilig gereichten Löffel entgegen, grub ihn in die Pastete, kostete, verzog das Gesicht und fiel erneut auf die Knie. »Verzeiht, Herrin, ich weiß nicht, wie so viel Salz da hineinkommen konnte. Es ist mir ein Rätsel. Seid versichert, es wird nie wieder passieren.«
    Armer Tropf, dachte Othilia, fast könntest du mir leidtun. Aber heute musst du für die Unterhaltung der Vasallen herhalten. Sie zwinkerte von Säckingen zu, der sofort verstand und wie die ganzen anderen ungehobelten Kerle an ihrer Tafel einem derben Spaß nie abgeneigt war.
    Er stach den Finger in die Pastete, schleckte ihn ab und grunzte genüsslich. »Ich weiß gar nicht, was Ihr habt, Herrin, diese Pastete ist die beste, die ich seit Langem gekostet habe. Mitnichten ist zu viel Salz darin. Euer Koch ist ein Mann von großem Können und ausgefeiltem Geschmack.«
    Othilia zog die Augenbrauen hoch. »Nun, Koch, was sagst du dazu?«
    »Vielleicht ist es nicht so viel zu viel«, murmelte der Koch mit hochrotem Gesicht. »Sondern nur ein wenig, sodass es dem edlen Herrn von Säckingen mundet, für Euren zarten Gaumen jedoch eine Zumutung ist.«
    »Nun, wenn das so ist, dann will ich Gnade vor Recht ergehen lassen und dir nur einen Wochenlohn einbehalten, weil du nicht weißt, wie viel Salz in deiner Pastete ist. Und nun lass den nächsten Gang kommen, meine Gäste fallen bereits vom Fleische.«
    »Sehr wohl.« Buckelnd verzog sich der Koch.
    Die Männer im Saal grölten, schlugen die Weinkelche aneinander, erzählten deftige Witze und genossen die vorzügliche Pastete. Die Hofdamen schnatterten unaufhörlich, ließen sich von den Rittern mit Pastetenhappen und Trauben füttern und kicherten aufgeregt, wenn ihnen dabei eine Frucht in den Ausschnitt plumpste.
    Mit Mühe gelang es Othilia, das feine Lächeln auf ihren Lippen festzuhalten. Wenn Ottmar sie erst zu sich nach Italien holte, konnte sie endlich das Leben führen, das ihr gebührte: ein Stadthaus in Florenz oder Venedig, Festlichkeiten, Bankette. Sie würden in den höchsten Kreisen der Gesellschaft verkehren, wo man ihre vollendete Erziehung und ihren feinen Geschmack zu schätzen wusste. Keine kalten, zugigen Burggemäuer mehr, keine ungehobelten Söldner und keine anzüglichen Bemerkungen hinter ihrem Rücken.
    Als die Sonne sich allmählich über den Horizont senkte, hatte Othilia genug. Sie erhob sich, nickte den Männern zu, die ihr Hochrufe entgegenschleuderten, und zog sich in die Kapelle
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