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Die Toten von Crowcross

Die Toten von Crowcross

Titel: Die Toten von Crowcross
Autoren: Iain Mc Dowall
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zu versuchen. Es ist verrückt. Ich hatte absolut nicht vor, nach Crowby zurückzukehren, ganz und gar nicht. Es war der reine Zufall, der mich wieder herbrachte, sonst nichts. Oder besser gesagt, das reine Pech, wie sich heraussteilen sollte. Wobei Pech gar kein Ausdruck ist. Aus London raus kam ich gut. Ein Lastwagen brachte mich auf die Mi, bis zum Rastplatz Newport Pagnell, von wo mich ein Vertreter mitnahm . Er sagte, er wolle die M6 hoch bis Birmingham. Das einzige Problem bestand darin, dass er schwul war und eigentlich nur so herumkurvte, auf der Suche nach Frischfleisch. Er bot mir sogar ein verlockendes Bündel Pfundnoten an. Als ich trotzdem ablehnte, rastete er aus und setzte mich kurz vor Crowby Nord ab, einfach so auf dem Standstreifen. Die Sonne ging allmählich unter, es wurde dunkel, und der Verkehr rauschte an mir vorbei, als wäre ich unsichtbar. Gerade dachte ich, Teufel auch, ich marschiere jetzt einfach das Stück bis zu Mums Haus, ruhe mich ein paar Tage aus und ertrage eben das Theater und die Bettelei, dass ich bei ihr bleiben soll, da hielt die schöne Claire in ihrem kleinen grünen Sportwagen neben mir. Lächelte mich an, blond, blauäugig und unglaublich schön. Ich war gerade mal neunzehn, konnte kaum eine Krawatte binden und hatte vielleicht noch zehn Pfund in der Tasche. Und da kommt Claire, angezogen wie eine Strip-o-gramm-Hexe, mit glitzerndem Umhang und in einem kurzen, schwarzen Kleidchen. Sagt, sie nimmt mich mit, will wissen, ob mir kalt ist und ich Hunger habe. Bei ihr zu Hause gibt es eine Party, erzählt sie mir, und ich kann über Nacht bleiben, wenn ich will. Etwas zu trinken, zu essen und ein Bett wird schon zu finden sein für mich, und am Morgen gibt’s noch ein anständiges Frühstück. Dazu klingt aus ihrer Musikanlage »Let’s Dance‹ von Bowie.
    Claires Haus war ... Nun, Sie wissen wahrscheinlich, wo es steht und wie es war. Mit einfachen Fotos haben sich die Boulevardblätter schließlich nicht zufriedengegeben. Damals nicht und heute genauso wenig. Zu ihren Lügen und Übertreibungen bringen und brachten sie immer auch noch Pläne, Diagramme, Skizzen und Luftaufnahmen. Claire war an diesem Abend jedenfalls bester Laune. Sie konnte gut oder schlecht drauf sein, oberflächlich oder tiefernst, das habe ich mit der Zeit gemerkt. Aber an dem Abend war alles im Lot. Ich denke, es hatte wegen der Kampagne ein paar gute Nachrichten gegeben und sie waren alle in Feierstimmung. Ich hatte so was jedenfalls noch nie erlebt, noch nie jemanden getroffen, der auch nur annähernd so gewesen wäre wie diese Leute.
    Das Cottage liegt gar nicht weit von meinem heutigen Haus entfernt. Ich gehe viel spazieren hier draußen. Die frische Luft, die Bewegung, die Freiheit herumzustreifen, das alles bedeutet einem viel, wenn man die besten Jahre seines Lebens drinnen verbracht hat, so wie ich. Dabei komme ich manchmal auch an Claires Cottage vorbei und hänge den alten Zeiten nach. Inzwischen ist es völlig heruntergekommen. Erst wollte es keiner kaufen, weil das dort passiert war und wegen der großen öffentlichen Aufmerksamkeit. Heute würde es ein kleines Vermögen verschlingen, das Haus wieder bewohnbar zu machen und so herzurichten, dass es auch nur annähernd modernen Ansprüchen genügen würde. Also wird es wohl weiter verfallen und verrotten. Nicht lange nach meinem Freispruch schrieb eine Zeitung, ich wollte es kaufen und selbst darin wohnen . Keine Ahnung, woher sie das hatten, es war reine Erfindung. Glauben Sie mir, ich könnte da nicht wohnen, nicht einen einzigen Tag lang.
    Damals war das natürlich anders. Das Cottage war voller Leute und platzte aus allen Nähten. Es lebte. Zur besten Zeit wohnten dort vielleicht zwanzig, dreißig Leute, schliefen teilweise sogar auf dem Boden. Ich meine, so viel Platz war ja nicht. Klar, draußen im Garten standen ein paar Tipis und auf dem Weg jede Menge Kleinbusse und alte Karren, die allerdings nicht dem harten Kern, sondern eher den durchziehenden Unterstützern gehörten, die kamen und gingen, wie es ihnen passte, etwas Nützliches beitrugen oder auch reine Schmarotzer waren. Natürlich gab es auch welche, die ein bisschen was von beidem hatten. Entgegen dem weit verbreiteten Glauben wohnte niemand fest auf dem berühmten »Freiheitsfeld«. Das Feld war ausschließlich den Kurzzeitbesuchern unter den Protestierern Vorbehalten, Tages- und Wochenendausflüglern, die eigens kamen, um an den von Zeit zu Zeit im Rahmen der Kampagne –
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