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Die Toten von Bansin

Die Toten von Bansin

Titel: Die Toten von Bansin
Autoren: Elke Pupke
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von ihr ließ er sich nichts verbieten, sie war ja nur zwei Jahre älter als er. Als er weg war, musste das Mädchen immer wieder zum Rettungsturm hinübersehen. Da oben stand, mit einem Fernglas sah er auf das Meer, der tollste Junge in Bansin. Unwillkürlich fuhr sie sich mit den Händen durch das Haar. Gestern hatte er im Wasser plötzlich neben ihr gestanden und bewundernd gesagt, sie könne ja schwimmen wie ein Fisch. Vielleicht wolle sie auch mal als Rettungsschwimmer arbeiten? Noch sei sie zu jung, aber er würde ihr gern mal den Turm zeigen und von seiner Arbeit erzählen. Das Mädchen besann sich auf seine Aufgabe, setzte sich neben den kleinen Jungen und half ihm, eine Seitenwand zu befestigen, die einzustürzen drohte. Obwohl das Kind schon sonnengebräunt war, hatte sie es kurz zuvor noch einmal mit Sonnenschutzmilch eingerieben. Jetzt war der Junge von oben bis unten mit feinem Sand bedeckt. Das Mädchen wurde nervös, immer wieder musste sie denken: Schade, dass ich gerade heute Babysitter bin. Der Rettungsschwimmer war nur noch heute auf dem Turm, ab morgen wäre er woanders eingesetzt, hatte er gestern gesagt, und sie hatte sich nicht getraut zu fragen, wo das sein würde. Als der Kleine sein Auto fast fertig hatte, ging sie zum Wasser und sammelte flache Steine und Muscheln in einen kleinen Eimer. Damit sollte er die Armaturen bauen. Er hatte genaue Vorstellungen, wie ein Auto von innen aussah. Seine Schwimmflügel mussten notdürftig als Lenkrad dienen, für den Schaltknüppel fand sich ein Stock am Dünenrand.
    Eine Zeitlang sah sie ihm noch zu, er war völlig vertieft in sein Spiel. Die dunkelblonden Haare waren nach dem letzten Bad schon lange wieder getrocknet und von der Sonne ausgeblichen. Er sah klein und zierlich aus für sein Alter, etwas zu dünn, was wohl daran lag, dass er ständig in Bewegung war. Im nächsten Jahr sollte er zur Schule kommen und seine Eltern befürchteten, dass ihm das Stillsitzen schwerfallen würde. Vielleicht könnte man die Einschulung auch noch um ein Jahr verschieben, er hatte im Juli Geburtstag, war gerade in der vorigen Woche fünf Jahre alt geworden. Die Reise an die Ostsee war ganz offenbar sein schönstes Geburtstagsgeschenk.
    Das Mädchen wurde immer unruhiger. Schließlich sagte sie ihm, sie müsse mal zur Toilette gehen, aber er wollte nicht mitkommen.
    Sie blickte sich um. Das Ehepaar, das nur etwa fünf Meter entfernt von ihnen seinen Platz hatte, kannte sie und sie grüßte hoffnungsvoll hinüber. Die Frau hatte ihnen schon eine Weile zugesehen. Dass die bei dieser Hitze Bier trinken mochte! Ihr Mann erwiderte freundlich den Gruß. Das beruhigte das Mädchen. Dann war der kleine Junge also nicht ganz allein, wenn sie jetzt mal kurz wegging. Aber als sie nach einer halben Stunde zurückkam, war der Junge fort.
    Inkas Stimme bricht, doch sie bemüht sich, weiterzusprechen. Steffi sagt nichts und starrt angestrengt auf die Straße.
    Nebenan lag die Frau auf ihrem Badelaken und schlief. Der Mann war weg. Das Mädchen sah sich panisch um, dann rüttelte sie die Frau wach. Aber die sah sie nur mit glasigen Augen an und begriff überhaupt nicht, was dieser Teenager von ihr wollte. Der Bruder des Jungen war wieder da und plötzlich auch die Eltern. Vom Rettungsturm hörte man die Suchmeldung, immer wieder, immer eindringlicher. Der Rettungsschwimmer fand ihn schließlich. An der Buhne, am Fischerstrand, dort, wo das Baden verboten war. Dr. Moll war schnell da. Sein Gang war unsicher, das konnte am Strandsand liegen, aber auch seine Bewegungen waren fahrig und er sprach betont artikuliert. Der Vater des Jungen beobachtete ihn misstrauisch, aber es gelang ihm, den Kleinen wiederzubeleben. Dann jedoch dauerte es unendlich lange, bis der Rettungswagen da war. Später hieß es, die Zufahrt zur Strandpromenade sei durch ein parkendes Auto versperrt gewesen. Das Kind starb auf dem Weg ins Krankenhaus.
    Inka hat zuletzt immer schneller gesprochen, als wolle sie das Geständnis schnell hinter sich bringen. Sie sieht die ältere Frau von der Seite an, aber die schweigt und Inka fährt fort: »Ich war zum ersten Mal verliebt, in Sören Mager, er war Rettungsschwimmer. Ich wollte nur ganz kurz zu ihm, zum Turm. Aber dann war er so nett, wir haben geflirtet – und als ich schließlich zurückkam, war der Kleine weg. Wir haben sofort alle nach ihm
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