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Die Toten Vom Karst

Die Toten Vom Karst

Titel: Die Toten Vom Karst
Autoren: Veit Heinichen
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Landschaftsaufnahme aus Sizilien, wo sie ihren letzten glücklichen Urlaub verbrachten und antike Steinsplitter vom Hera-Tempel in Selinunt mitgehen ließen, die jetzt in einer Glasvase lagen, neben anderen Steinen von anderen Reisen. Dann war es die Haarsträhne einer Schauspielerin oder das Dekolleté der Ansagerin. Er überlegte, wie lange sie nicht mehr miteinander geschlafen hatten. Es mußten vier Monate sein. Stets hatte sie einen Weg gefunden, sich zu entziehen. So lange also mußte die Geschichte mit Pietro schon dauern! Proteo versuchte sich zu erinnern, was damals geschehen war, doch außer aufblitzenden Fragmenten, die kein ganzes Bild ergaben, brachte er nichts zusammen. Damals, als Laura übers Wochenende alleine zu Freunden nach Sorrent gefahren war, war sie, wie er glaubte, verändert zurückgekommen. War sie vielleicht gar nicht alleine gefahren, wie sie behauptete? Er tobte, sprach mit sich selbst, fluchte, und einmal schrie er so laut auf, daß Marco aus seinem Zimmer kam und fragte, ob etwas passiert sei. Doch als sein Vater mit entrücktem Blick abwinkte, verzog er sich wieder. Proteo Laurenti zappte weiter. Schon zweimal war er in die Küche gegangen und hatte sich eine Flasche Bier geholt. Er fühlte sich erschöpft und unkonzentriert, an Lesen war nicht zu denken. Er legte sich auf das Sofa, stellte den Ton leiser, schloß die Augen und versank in einen leichten Schlummer.
    Laura? Als das Telefon klingelte räusperte sich Proteo kräftig, damit man seiner Stimme nicht anmerken sollte, daß er geschlafen hatte. Trotzdem würde Laura es beim ersten Ton erkennen, das wußte er.
    »Commissario?« fragte die unbekannte Stimme am anderen Ende.
    »Am Apparat.«
    »Hören Sie, Sie bekommen Arbeit! Es ist gleich soweit.«
    Laurenti schaute auf die Uhr: zwanzig nach vier. »Wer sind sie? Sprechen Sie bitte lauter!«
    Es war eine verstellte Männerstimme. Bariton, dachte Laurenti, per Mobiltelefon und mit zugehaltener Sprechmuschel.
    »Ich kann Sie kaum verstehen! Was ist passiert.«
    »Fahren Sie nach Contovello. Wenn Sie sich beeilen, sind Sie vor den anderen dort. Sie finden es von alleine.« Die Leitung wurde unterbrochen.
    Laurenti saß vornübergebeugt auf dem Sofa und schaute ratlos auf den Hörer in seiner Hand. Nein, der würde nicht noch einmal anrufen. Aber warum sollte ausgerechnet er jetzt aufstehen und tun, was der Mann gesagt hatte? Es wäre ohnehin unmöglich, mit seinem Auto die steile Straße den Karst hinaufzukommen. Und ob ein Jeep der Fahrbereitschaft es ohne Schneeketten schaffte, war fraglich genug. Laurenti rief die Dienststelle in Opicina an und bat den wachhabenden Beamten, zur Überprüfung einen Wagen ins nahegelegene Contovello zu schicken. Von da oben aus hätten sie es leichter, und wahrscheinlich war es ohnehin nur ein dummer Scherz gewesen. Wahrscheinlich war es sogar jemand aus Contovello selbst, der sich vom warmen Wohnzimmer aus daran freute, die Beamten ratlos durch den Schnee stapfen zu sehen. Er kannte keinen in dem Dorf, den er hätte anrufen können. Also sollten die Kollegen aus Opicina nachsehen, dem verfluchten Kaff, in dem auch Pietro, der Versicherungsvertreter, wohnte. Wenn ihn die Bora doch weggeblasen hätte!
    Proteo Laurenti legte sich wieder aufs Sofa, zog sich eine Wolldecke bis unter die Achseln, nahm einen langen Schluck lauwarmes Bier aus der Flasche und schaltete wieder durch die Fernsehprogramme. Für einen Augenblick hatte er Laura vergessen. Er fühlte sich besser. Arbeit gibt Halt, auch wenn man sie nicht erledigt.
    Im Sportkanal wurde Skispringen übertragen, aus Österreich. Eine lächerliche Sportart, die ihn noch nie interessiert hatte. Er glotzte auf die Sprünge, die alle gleich zu sein schienen und denen jede Sensation fehlte. Alle kamen heil herunter. Er fand diese Männer lächerlich. In ihren glatten Lackanzügen glichen sie fliegenden, orangefarbenen Würsten, wie man sie in Deutschland aß. Es war gerade recht, nur Eiskunstlauf war langweiliger. Und schon war Proteo Laurenti wieder eingeschlafen.
     
    *
    »Nein, Nicoletta, wir fahren nicht! Keiner läuft aus bei diesem Sturm.« Ugo Marasis Füße steckten in abgenutzten, graubraun karierten Pantoffeln. Der alte Fischer stand in seinem Wohnzimmer und starrte zum Fenster hinaus.
    »Verflucht! Ich habe es mir schon gedacht. Aber sie warten auf die Lieferung. Wir sind ohnehin zu spät.« Der Fischladen machte Nicoletta keine Sorgen. Der Montag würde sowieso flau. Wer ging schon hinaus
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