Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Toten Vom Karst

Die Toten Vom Karst

Titel: Die Toten Vom Karst
Autoren: Veit Heinichen
Vom Netzwerk:
Zwanzig Zentimeter von seinem Herzen entfernt erkannte Marasi die in der Dunkelheit schimmernde Pfeilspitze. Mario wickelte den Draht um den Abzug, lenkte ihn um das Ende des Kolbens und rüttelte an dem Gestell. Es stand fest genug. Die Harpune bewegte sich nicht. Dann zog er den Draht zu Marasi.
    »Das ist zu deiner Sicherheit, Ugo. Du mußt nicht, aber wenn du nicht mehr willst, kannst du sie auslösen! Du mußt nur kräftig mit dem Kopf ziehen. Hast du gehört: kräftig! Sonst funktioniert es nicht!«
    Marasi antwortete nicht. Er schaute Mario zu, wie er um das Gerüst herum ging. Dann spürte er plötzlich den Jutesack über seinem Kopf.
    »Warum machst du das, Mario?«
    »Damit du weißt, was Angst ist. Wenn man nichts mehr sieht und weiß, daß man vielleicht draufgeht, dann kommt sie erst richtig. Was glaubst du wohl, wie es Giuliano ging?«
    Mario band den Draht um Marasis Stirn, kontrollierte mehrmals die Spannung und war mit seinem Werk zufrieden.
    Dann stieß er den Stein unter Marasis Füßen weg. Marasi ächzte, doch Mario hatte sorgfältig gearbeitet. Marasi rutschte kaum herunter und die Spannung am Draht zur Harpune veränderte sich nicht, allein die Fesseln schnitten tief in die Gliedmaßen des Alten.
    »Also bis Mitternacht, Ugo. Du bist zäh. Du schaffst das. Und wenn du nicht mehr willst, dann genügt ein kräftiger Ruck mit deinem verfluchten Schädel. Und jetzt denk nach, Ugo! Bis später.«
    Marasi hörte, wie die Autotür zugeschlagen und der Wagen gestartet wurde. Nach ein paar Minuten drangen nur noch die Fahrgeräusche von der Landstraße nach Monrupino und dem Autobahnzubringer zur slowenischen Grenze zu ihm herüber. Ein leichter Schneefall legte sich über den Karst.
     
    Er war nur eine Dreiviertelstunde bei Luca geblieben und hatte das Essen nicht angerührt. Schweigend saß er am Tisch und brannte darauf, schnell wieder wegzukommen. Mario war mit sich zufrieden. Er hatte Marasi eine Lektion erteilt, die dieser nicht vergessen würde. Auch für die Verhandlungen über die Anteile und den Verkauf des Kutters war das gut. Und wenn Marasi irgend jemand erzählte, daß Mario ihn auf der Foiba auf ein Gestell geflochten und mit einer Harpune bedroht habe, würde ihm gewiß niemand glauben. Diese Idee war zu absurd, um für wahr gehalten zu werden.
    Kurz nach zweiundzwanzig Uhr fuhr Marios Wagen zum dritten Mal an diesem Abend auf den Karst, wo es wieder zu schneien begonnen hatte. Fast drei Stunden hing Marasi inzwischen am Gestell. Er mußte ihn losmachen, sonst erfror er. Die Lektion genügte.
     
    Mario sah den halbnackten Mann im Scheinwerferlicht hängen. Er traute seinen Augen nicht. Marasis Kopf war auf die Brust gesunken und auf dem Unterhemd hatte sich ein dunkler Fleck gebildet. Er ließ den Wagen mit laufendem Motor stehen und lief zu ihm hin. Das Blut war noch nicht geronnen. Marasi konnte sich erst vor wenigen Minuten getötet haben. Mario hätte gerne seine Augen gesehen, doch wagte er nicht, den Sack von Marasis Kopf zu ziehen. Dann fiel sein Blick auf die von gestautem Blut und Kälte blaugefärbten Arme des Alten, die im Scheinwerferlicht gespenstisch schimmerten. Der Draht hatte sich tief in Marasis Haut eingeschnitten. Die Füße hingen weit nach unten, so daß die Zehen fast den Schnee auf dem Boden berührten.
    Mario schaute sich voller Panik um. Schnell montierte er die Harpune und den Draht ab, der sie mit Marasi verband. Dann ging er zurück zu seinem Wagen und warf die Waffe auf den Rücksitz zu Marasis Kleidern. Langsam fuhr er zurück auf die Straße und zurück in die Stadt. So langsam, daß immer wieder die Autos hinter ihm hupten und Lichtzeichen machten, bis sie überholen konnten. An einem Müllcontainer hielt er an und warf Kleider und Harpune hinein.
    Mario hatte nicht erwartet, daß Marasi es tun würde. Er hatte den Draht so gelegt, daß nur ein sehr kräftiger Ruck die Harpune auslösen konnte. Marasi hatte sich umgebracht, ein Zufall war ausgeschlossen.

Guati
    Galvano saß alleine an einem Tisch im vorderen Teil der »Trattoria al Faro« und vertilgte ein Frittomisto. Die Flasche Vitovska von Kante war schon fast leer. Franco gab Laurenti einen vielsagenden Augenwink. Der Alte war offenbar gut bei der Sache.
    Er stand auf, als er Proteo Laurenti sah, und gab ihm die Hand. »Ich habe Franco schon gesagt, daß er gefälligst auch für Rotwein sorgen soll. Keine einzige Flasche hatte er mehr.«
    »Wo ist Živa?«
    »Hat dir das deine Assistentin nicht
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher