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Die Toten Vom Karst

Die Toten Vom Karst

Titel: Die Toten Vom Karst
Autoren: Veit Heinichen
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Erinnere dich an das letzte Mal. Ich bitte dich, fahr!«
    »Vielleicht geschieht ja ein Wunder und die Bora legt sich,« brummte Marasi. »Aber ich glaub’s nicht.«
    »Danke, Papà.«
    Ugo Marasi schüttelte den Kopf, als er den Hörer aufgelegt hatte. Er wußte nur zu gut, daß die Bora nera Tage anhalten konnte, genauso gut aber war es möglich, daß morgen schon alles vorbei war. Sie war ein launischer Wind, auch wenn sie in den letzten Jahren nur noch selten ihr bösestes Gesicht zeigte. Marasi stand zwar trotz seiner 74 Jahre noch immer im Ruf, auch dann zu fahren, wenn alle anderen zu Hause vor den Fernsehgeräten die Beine lang machten, aber an diesem Tag kniff selbst er. In der Küche schenkte er sich ein Glas Merlot aus der Korbflasche ein und ging dann zurück zum Telefon und wählte.
    »Giuliano, wir fahren spätestens am Dienstag, vielleicht aber auch morgen, wenn es etwas besser wird«, sagte er kurz. »Informiere die anderen.«
    »Ja«, antwortete der andere, ohne weiter zu fragen, und hängte ein.
     
    *
    Die Räder des Jeeps drehten trotz Allradantrieb durch. Das letzte Stück vor Contovello, unter den senkrecht aufragenden Kalkfelsen, wo die Steigung immer steiler wurde und man wegen zwei enger Kurven die Fahrt vermindern mußte, war ohne Schneeketten nicht mehr zu schaffen. Die beiden Männer stiegen mißmutig aus. Sie mußten im Sturm die Ketten montieren. Laurenti hatte die Kollegen telefonisch angefordert, nachdem die Dienststelle auf dem Karst ihn unterrichtet hatte. Die telefonische Auskunft des Beamten aus Opicina war knapp, er sagte lediglich, daß eine Explosion das Haus Contovello Nummer 525 in Trümmer gelegt habe. Und daß es Tote gab.
    Auch Proteo Laurenti stieg aus und sagte den beiden Polizisten, daß er die letzten vierhundert Meter zu Fuß gehen wollte. Bevor er aus dem Haus gegangen war, hatte er feste Schuhe mit Gummisohlen angezogen und einen dicken, flauschigen Wollschal seiner Frau um den Hals geschlungen. Er war winterfest – Laura hätte ihm höchstens noch die Handschuhe, die er nicht fand, herausgesucht und einen anderen Schal, der ihn nicht so lächerlich aussehen ließ.
    Die Straße war mit Glas- und Holzsplittern übersät. Die Dienstfahrzeuge hatten tiefe Spuren im Schnee hinterlassen, er sah wie die Blitze der Blaulichter von den hellen Hauswänden in die Nacht zurückgeworfen wurden. Als er das Motorengeräusch des Jeeps nahe hörte, war er schon fast am Dorfrand angekommen. Ein Krankenwagen suchte sich langsam und ohne Sirene den Weg durch die Menschenmenge. Er sah bedrückte Gesichter und hörte wenige, nur leise Gespräche meist auf Slowenisch, in die sich immer wieder italienische Wörter oder Satzfetzen verirrten. Als Laurenti um Durchlaß bat, wurde er mit skeptischen Blicken betrachtet.
     
    Umberto Marrone, der diensthabende Schichtführer aus Opicina, informierte ihn knapp und präzise. »Die Explosion fand Punkt sechzehn Uhr dreißig statt. Drei Tote: Manlio Gubian, 42, seine Frau Elisabetta, 33, und das Kind von zwei Jahren. Alle drei Bewohner des Hauses Nummer 525. Keine Gasexplosion. Die Spurensicherung ist an der Arbeit, aber es gibt nicht mehr viel zu sichern. Die Streifenbeamten haben die Detonation schon unten auf der Strada del Friuli vernommen, gerade als sie den Dienstwagen verließen, um die letzten Meter zu Fuß hinaufzugehen. Der Knall muß wahnsinnig laut gewesen sein, wie sie sagen. Die Jungs haben Glück gehabt, daß sie nicht früher eintrafen. Die Splitter flogen bis zu ihrem Wagen, mehr als zweihundert Meter.«
    »Ich spreche später selbst mit ihnen. Haben Sie die Leute schon befragt? Gibt es jemand, der etwas gesehen hat?«
    »Bis jetzt niemand.«
    Sie waren ein Stück weitergegangen und standen im Licht der Halogenlampen, die auf die Trümmer gerichtet waren und in deren Schein die Schneeflocken tanzten. Laurenti traute seinen Augen nicht. Von dem Haus war nicht mehr viel zu erkennen, und auch die Nachbargebäude waren erheblich beschädigt. Ein breiter Riß zog sich durch die Hauswand zur Linken, die Fensterscheiben waren geborsten und hinterließen schwarze Höhlen. Laurenti sah, wie die Nachbarn im Schein von Taschenlampen in dem Raum hantierten und hörte Hammerschläge. Die Leute versuchten hastig, die Fenster auf der dem Sturm ausgesetzten Hausseite mit Brettern zu vernageln. Die Elektrizität war im gesamten unteren Dorfteil ausgefallen. Acht Beamte in Overalls suchten in den Trümmern herum. Einer führte einen Schäferhund an
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