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Die Toten Vom Karst

Die Toten Vom Karst

Titel: Die Toten Vom Karst
Autoren: Veit Heinichen
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abstechen und die Stadt ansonsten in Ruhe lassen.«
    »Und die Hakenkreuzschmierereien? Das Viertel sieht wirklich zum Kotzen aus. Ich finde, die Stadtverwaltung sollte mehr dagegen unternehmen. Man könnte doch ein paar Arbeitslose anstellen, die den Dreck übermalen. Was soll man denn sonst mit den Arbeitslosen …«
    »Sgubin«, unterbrach ihn Laurenti. »Jetzt redest du wie die! Außerdem sitzen die Faschisten dick im Stadtrat, auch wenn sie sich einen anderen Anstrich geben.«
    »Trotzdem, man schämt sich doch, wenn man die Dinger sieht. Ich glaube, die Burschen würden schnell die Energie verlieren, wenn man ein bißchen hinterher wäre.«
    »Wenn du willst, komme ich mit«, sagte Laurenti. »Hören wir uns mal an, weshalb da Leute hingehen, die angeblich nichts mit der Szene zu tun haben? Da schau!« Er zeigte auf die Straße hinunter, wo eine Sturmböe einen randvollen Müllcontainer vor sich her trieb, bis er in die Fahrertür eines geparkten Autos krachte.
    »Verdammt!« fluchte Sgubin. »Mein Wagen steht direkt dahinter.«
     
    Sie fuhren nicht weit. Der Schnee fiel immer dichter, und die Räder der wenigen Autos, die unterwegs waren, drehten auf dem steilen Anstieg der Via Rossetti durch. Sgubin schimpfte vor sich hin, fuhr die gesperrte Viale XX Settembre hinunter und schaffte es unten beim Cinema Excelsior kaum, den Wagen zum Stehen zu bringen. Sie versuchten es über die schmale Parallelstraße, die etwas sanfter in die Gegenrichtung anstieg, aber auch dort war nach hundert Metern nichts mehr zu machen. Vor ihnen standen die Autos bewegungslos und mit qualmendem Auspuff, und hinter ihnen versperrten zwei weitere Fahrzeuge den Rückweg. Zu Fuß wären sie schneller gewesen. Sgubin setzte den Wagen schräg in eine enge Einfahrt. »Egal«, sagte er, »ich glaube kaum, daß da in der nächsten Stunde einer rausfährt.« Mit vorsichtigen Schritten eierten sie auf dem Gehweg durch eine Gasse, wo noch keine einzige Fußspur im Schnee zu sehen war, bis zur Via Stuparich. Das Haus hatten sie bald gefunden. Es war ein fünfstöckiges Gebäude aus Fertigbauteilen, vor deren kleinen Balkonen rote Eisengeländer montiert waren. Das Haus aus den sechziger Jahren war auffallend schmal geraten. Neben dem Eingang befand sich eine kleine Bar, die Sonntags geschlossen war, daneben eine Lotto-Annahmestelle und ein Friseurgeschäft. Im ersten Stock waren die Rolläden heruntergelassen.
    »Ein Grieche«, sagte Sgubin und klingelte. »Perikles Ritsos. Siebenundfünfzig Jahre alt. Wohnt alleine.«
    Nach einiger Zeit, während der sie unter dem schmalen Dachvorsprung Schutz vor dem Schneefall suchten, summte der Türöffner. Der Eingang war mit häßlichen Steinplatten ausgekleidet, einen Aufzug gab es nicht. Rechts führte eine enge Treppe hinauf. In diesem Haus schien man an allem gespart zu haben. Die Steinstufen waren wie Glatteis unter ihren nassen Schuhsohlen. Im ersten Stock schlug ihnen muffiger Geruch entgegen, und Laurenti warf einen Blick auf das Klingelschild: »Marasi«. Eine Etage höher las er diesen Namen nochmals. Sie mußten bis in den fünften Stock hinaufsteigen, wo sie ein sehr magerer, rothaariger Mann im Trainingsanzug und mit gerötetem Gesicht vor der einzigen Tür der Etage erwartete.
    »Sie wünschen?«
    »Polizia di Stato«, antwortete Sgubin. »Es geht um die Sache letzte Nacht in der Bar ›Bellavia‹. Sie waren Zeuge, und wir haben ein paar Fragen. Das ist Commissario Laurenti.« Er deutete auf seinen Chef, der wie ein Assistent hinter Sgubin stand, geistesabwesend und zerstreut. »Können wir reinkommen? Es dauert nicht lange.«
    Ritsos drehte sich halb in der Tür um und rief ein paar englische Worte in die Wohnung.
    »Come in«, hörten sie eine fiepsige Frauenstimme antworten. »I’m going to the bathroom.«
    »Sie müssen entschuldigen«, sagte Ritsos zu den Beamten. »Die Wohnung ist sehr klein.« Er ging voraus durch einen schmalen Flur, in dem billige Drucke alter Segel- und Dampfschiffe in einfachen Wechselrahmen hingen. Dann öffnete er eine hell furnierte, schmutzige Tür und stand bereits mitten in seinem kleinen Wohnzimmer. Es roch durchdringend nach Katzenpisse. Auch hier hingen Schiffsbilder an der Wand und einige Fotografien von ihm und anderen Personen, meist mit halbvollen Gläsern in der Hand. Zwei graue Katzen verzogen sich in eine Ecke, als sie eintraten. Ritsos nahm eine schwarze Damenstrumpfhose, die malerisch eine riesige rote Spitzenunterhose umschlang, vom Sofa,
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