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Die Toten Vom Karst

Die Toten Vom Karst

Titel: Die Toten Vom Karst
Autoren: Veit Heinichen
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Aktion gegen die Chinesen, die, vorwiegend über Belgrad kommend, die Stadt seit einem Jahr überrannten. Sie hatten einen Laden nach dem anderen eröffnet, viele Immobilien zu kraß überhöhten Preisen gekauft und grundsätzlich bar bezahlt. Man erzählte sich auch die Geschichte von den sechs Lieferwagen, die einer von ihnen in einem Autohaus gekauft und die Scheine auf den Tisch geblättert hatte, als bezahle er ein Pfund Tomaten. Die halbe Stadt vermutete, daß das Geld kaum aus legalen Quellen stammte.
    Die Ausbeute der Durchsuchung war beträchtlich: Gefälschte Dokumente, gefälschte Markenware, illegale Einwanderung, Schwarzarbeit und Glückspiel, Erpressung und Geldwäsche, mehr als nur ein Mordverdacht. Der Einsatz hatte Spuren hinterlassen: Im Borgo Teresiano baumelten die ausgeschalteten roten Lampions triste vor zahlreichen geschlossenen Geschäften. Unterlagen waren zentnerweise beschlagnahmt worden und mußten noch ausgewertet werden. Und ein großer Schatten war auch auf jene Chinesen gefallen, die seit langem in der Stadt lebten und mit den kriminellen Machenschaften nichts zu tun hatten.
     
    Ein paar Studenten belegten die anderen Tische, blätterten in ihren Büchern und machten Notizen oder unterhielten sich. Proteo Laurentis Lieblingsplatz war noch frei. Er warf die Zeitungen auf den Tisch, legte die Jacke ab, rieb sich die Hände, fuhr sich durch das schneenasse Haar und setzte sich. Der Caffelatte wärmte ihn schnell auf, er bestellte einen zweiten und einen frisch gepreßten Pampelmusensaft. Dann vertiefte er sich in den »Piccolo«.
    Die örtliche Tageszeitung titelte mit großen Lettern schon auf der ersten Seite, daß die Bora diesmal Eis und Schnee mitbringen würde. Die Meldung war Schnee von gestern. Auch der Rest war nicht aufregend, und Laurenti war viel zu unruhig, um sich auf einen Artikel zu konzentrieren, der länger als zehn Zeilen war. Erst beim Horoskop blieb sein Auge hängen. Widdern versprach es einen harmonischen Tag mit Überraschungen in der Liebe, und den Zwillingen, Laura also, eine aufregende und romantische Reise mit neuen Horizonten. Laurenti verschwammen für einen Augenblick die Buchstaben vor den Augen, dann schüttelte er heftig den Kopf, als könnte er sich dadurch wieder in die Gegenwart zwingen.
    Warum mußte das ihm passieren, ihm, einem Mann von 47 Jahren, der von sich immer behauptet hatte, eine glückliche Ehe zu führen. Wer war denn dieser Pietro, dieser Versicherungsagent und Biedermann, der mit der Alleanza Nazionale sympathisierte, einen weißen Volvo fuhr und in einem Häuschen oben in Opicina wohnte. Verdammt! Wieder spürte Laurenti dieses Unwohlsein, dieses verfluchte Magengrimmen, mit dem er schon den ganzen Morgen kämpfte. Laura war ihm auf den Magen geschlagen, bevor sie sich verdrückt hatte. Er wühlte in der Jackentasche und riß die Zigarettenschachtel auf. Zum ersten Mal seit dreiundzwanzig Jahren steckte er sich wieder eine Marlboro an. Er sog zweimal tief den Rauch ein, hustete und dann wurde ihm schwindlig.
    Die Toilette erreichte er gerade noch rechtzeitig. Er würgte das wenige, das er im Magen hatte, in die nicht eben saubere Kloschüssel und versuchte möglichst nicht genau hinzuschauen. Dann ging er zum Waschbecken, wusch sich Hände und Gesicht, spülte den Mund und tat sich so unendlich leid, als er seine traurigen Augen im Spiegel erkannte, daß er grinsen mußte. Doch der kleine Funken Hoffnung, der durch sein Selbstmitleid hindurch aufglimmte, war sogleich wieder erloschen.
    Als er zurück zu seinem Tisch ging, schaute er stur geradeaus, so blieben ihm wenigstens die fragenden Blicke der Kellner erspart. Er bestellte ein Glas Wasser und schwarzen Tee, griff wieder zur Zeitung und las in den Lokalnachrichten weiter. Jetzt fühlte er sich ruhiger und konzentrierter.
     
    Spannungen an der Foiba von Basovizza – Ein Priester (im langen schwarzen Hemd) segnet das Mahnmal. An diesem Artikel blieb Laurenti hängen. Er wußte nicht viel über die »Foibe«, er stammte schließlich aus dem Süden des Landes. Und weder Politik noch Medien hatten dieses finstere Kapitel der Geschichte über Jahrzehnte vertrauenswürdig behandelt. Nichts außer widersprüchlichen Aussagen – je nachdem, ob die Behauptungen von links oder rechts kamen, von Extremisten oder Bürgerlichen, von Nationalisten, Faschisten oder Kommunisten, von jenseits der Grenze oder aus Italien. Der alte Doktor Galvano aus der Gerichtsmedizin hatte ihm einmal erzählt,
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