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Die Toten befehlen

Titel: Die Toten befehlen
Autoren: Vincente Blasco Ibañez
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Brauen beschattet. Er hatte die scharfe Adlernase der Febrer, dieser tapferen Raubvögel der einsamen Meere. Unter einem zierlichen Schnurrbart zog sich der Mund verächtlich zusammen. Das hervorspringende Kinn war von einem dünnen, seidigen Bart bedeckt. »Entzückende Miß Mary!« Beinahe ein Jahr dauerte die fröhliche Wanderungdurch Europa, und mit Sehnsucht erinnerte sich Jaime noch heute dieser glücklichen Zeit.
    »Ach, die Frauen!« ... Er hatte darauf verzichtet, sich für sie zu interessieren. Einige graue Barthaare und kleine Fältchen in den Augenwinkeln verrieten die Folgen eines nach seinem eigenen Ausdruck »mit Volldampf« geführten Lebens. Aber immer noch war er ihnen willkommen, und die Liebe sollte ihn jetzt aus seiner bedrängten Lage retten.
    Als er seine Toilette beendigt hatte, verließ er das Schlafzimmer und durchschritt einen großen Salon. An den Wänden hingen riesige Gobelins, deren Farben in der Sonne leuchteten. Sie stellten mythologische und biblische Szenen dar, mit Figuren in doppelter Lebensgröße.
    Febrer warf im Vorbeigehen auf diese, von seinen Vorfahren ererbten Kostbarkeiten einen ironischen Blick. Nichts mehr gehörte ihm. Seit mehr als einem Jahre waren sämtliche Gobelins Eigentum der Wucherer in Palma, die sie aber im Palast hängen ließen, in der Hoffnung, einen größeren Preis zu erzielen, wenn ein durchreisender Sammler glaubte, sie aus erster Hand zu kaufen. Jaime bewahrte sie mittlerweile auf, ohne irgendein Recht an sie zu haben; im Gegenteil, das Gefängnis drohte ihm, falls er sich als ungetreuer Hüter erweisen würde.
    Als er zur Mitte des Salons kam, wich er gewohnheitsgemäß aus, mußte aber lachen, als er sah, daß ihm nichts im Wege stand. Noch vor einem Monat befand sich hier ein italienischer Tisch, aus den kostbarsten Marmorarten zusammengesetzt, ein Beutestück des berühmten Komturs Don Priamo Febrer. Daneben stand früher ein ungeheures Kohlenbecken ausgehämmertem Silber auf einem massiven Untersatz aus demselben Metall. Auch dieses schöne Stück hatte Febrer zu Geld gemacht, aber nur das Gewicht des Silbers war vom Käufer angerechnet worden. Hierbei kam ihm die Erinnerung an eine goldene Kette, ein Geschenk von Kaiser Karl V. an einen seiner Vorfahren. Als er sie vor einigen Jahren in Madrid verkaufte, wurde nur der Goldwert, aber nicht die wundervolle, antike Goldschmiedearbeit bezahlt. Kurz darauf erfuhr er, daß die Kette für den Preis von hunderttausend Francs in den Besitz eines kunstsinnigen Sammlers in Paris übergegangen war. Wirklich, ein Elend! Für Kavaliere wurde das Leben immer schwieriger.
    Durch zwei anstoßende Kabinette, in denen eine Sammlung von spanischen und italienischen Gemälden hing, kam Jaime in den ungeheuren Empfangssalon, die Ahnengalerie des Hauses. Hier waren die Bilder aller Febrer vereinigt: Kaufleute, Seefahrer, Inquisitoren, Gouverneure und Vizekönige der spanischen Besitzungen in Amerika und in der Südsee, Malteserritter, Offiziere der Armada und Kardinäle, in den Trachten aller Jahrhunderte. Immer wiederkehrend aber war die gewölbte Stirn und die Adlernase. Zwischen den lebensgroßen Porträts hingen Hunderte von Gemälden, Dokumente für den Ruhm der Familie: Seeschlachten, erstürmte Burgen, berannte Festungen, Kämpfe mit Mauren und Piraten. Auf jedem sah man Wimpel, Flaggen oder Fahnen mit dem Wappen der Febrer oder dem Malteserkreuz.
    »Wieviel Ruhm, aber auch wieviel Staub!« dachte Jaime. »Seit zwanzig Jahren hat sich im Palast kein mitleidiges Tuch gefunden, um diese erlauchte Familieabzustäuben.« Die Urahnen und die berühmtesten Schlachten überzogen graue Spinnenweben.
    Über einen Korridor, an dem die seit vielen Jahren verschlossene Kapelle und das Archiv lagen, kam Jaime zu der riesengroßen Küche. Hier wurden früher die üppigen Gerichte für die berühmten Banketts zubereitet, die die Febrer zu Ehren ihrer ausländischen Freunde veranstalteten. Madó Antonia erschien noch kleiner in diesem gewaltigen Räume, neben einem Herde, groß genug, um ganze Stämme fassen zu können. Die frostige Sauberkeit der Küche verriet, daß sie sich nicht mehr in Gebrauch befand. Die Haken an den Wänden waren leer. Früher hingen an ihnen große, kupferne Kessel, die den Stolz einer Klosterküche ausgemacht hätten. Die alte Dienerin bereitete jetzt die bescheidenen Mahlzeiten auf einem winzigen Herde neben dem Backtroge.
    Jaime bestellte bei Madó sein Frühstück und ging in einen kleinen Raum
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