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Die Toten befehlen

Titel: Die Toten befehlen
Autoren: Vincente Blasco Ibañez
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nebenan, den die letzten Febrer an Stelle des großen Bankettsaales als Speisezimmer benutzten. Auch hier zeigten sich die Spuren des Elends. Den Tisch bedeckte ein rissiges Wachstuch, die Büfetts standen fast leer. Das alte gute Porzellan war im Laufe der Zeit zerbrochen und durch gewöhnliches Steingutgeschirr ersetzt worden.
    Durch die Fenster sah man das intensive Blau des Meeres, unruhig bebend unter einer feurigen Sonne. Vor ihnen wiegten alte, schöne Palmen ihre Zweige in der Morgenbrise. Am Horizont zogen die weißen Segel eines Gaffelschoners langsam dahin wie eine ermüdete Möwe.
    Madó Antonia trat ein und stellte eine dampfende Tasse Milchkaffee und eine große Scheibe Brot, diemit Butter bestrichen war, auf den Tisch. Jaime begann mit großem Appetit zu frühstücken, zog aber eine Grimasse, als er das Brot kostete. Madó gab ihm mit einer Kopfbewegung Recht und erzählte im Dialekte von Mallorca:
    »Es ist sehr hart, nicht wahr? ... gar nicht zu vergleichen mit den Weißbrötchen, die der Herr im Kasino ißt. Aber es ist nicht meine Schuld. Ich wollte schon vorgestern Teig kneten, hatte aber kein Mehl und warte noch immer auf die Lieferung von Son Febrer. Ach, diese undankbaren und vergeßlichen Menschen.«
    Der alten Dienerin tat es wohl, ihrem Groll Luft zu machen gegen den Pächter von Son Febrer, dem letzten Stück Land, das der Familie geblieben war. Alles verdankte dieser Bauer seiner gütigen Herrschaft. Zum Danke vergaß er sie jetzt, gerade in der schwierigsten Zeit.
    Jaime dachte voller Kummer, daß auch Son Febrer ihm nicht mehr gehörte, trotzdem er noch nominell als Besitzer galt. Dieses Gut, das im Mittelpunkt der Insel lag und den Namen der Familie trug, das schönste von allen Gütern, die er geerbt hatte, war auch schon mit Hypotheken überlastet und nicht länger zu halten. Die Rente, die es abwarf, genügte eben, um einen Teil der Hypothekenzinsen zu zahlen, so daß die Schuldsumme immer größer wurde. Es blieben ihm nur die Naturalabgaben übrig: zu Weihnachten und Ostern ein paar Lämmer und zwölf Stück Geflügel, im Herbst zwei gut gemästete Schweine und jeden Monat Eier und eine bestimmte Quantität Mehl, außerdem das Obst der Jahreszeit. Hiervon wurde ein Teil im Hause verbraucht und der Rest von der Dienerin verkauft.
    So lebten Jaime und Madó Antonia in der Einsamkeit des Palastes, fern der öffentlichen Neugierde, wie zwei Schiffbrüchige auf einer kleinen Insel. Diese Naturalabgaben wurden aber in der letzten Zeit immer unpünktlicher geliefert. Der Pächter, dessen Bauernegoismus nichts mit dem Unglück zu tun haben wollte, wußte, daß der Majoratserbe nicht mehr der wirkliche Eigentümer von Son Febrer war. So kam es häufig vor, daß er seine Vorräte den Gläubigern von Don Jaime brachte, die er fürchtete und denen er sich gefällig zeigen wollte.
    Jaime sah seine alte Dienerin an. Sie war vom Lande und hatte niemals etwas anderes als die Tracht ihres Dorfes getragen. Dunkles Leibchen, dessen Ärmel mit einer doppelten Reihe von Knöpfen besetzt waren, heller, geblümter Rock und weißes Kopftuch, unter dem ein falscher, schwarzer Zopf mit einer Samtschleife hervorkam.
    »Du hast recht, Madó Antonia«, sagte Febrer in ihrem Dialekt, »jeder flieht vor der Armut. Wenn es diesem Spitzbuben eines guten Tages einfällt, überhaupt nicht mehr zu kommen, dann können wir, wie zwei Schiffbrüchige, uns gegenseitig verzehren.«
    Die Alte lächelte. Der Herr war doch immer guter Laune, ebenso wie sein Großvater Don Horacio, der trotz seiner ernsten Miene, die Furcht einflößte, so gern drollige Sachen erzählt hatte.
    »Dieses Elend muß aufhören«, fuhr Jaime fort, »und heute noch soll es ein Ende haben. Damit du es weißt, Madó, bevor die Neuigkeit sich verbreitet: ich heirate.«
    Die Alte schlug die Hände zusammen und erhob den Blick zur Decke:
    »Heiliges Blut Christi! Zeit ist es ..., hätte der Herr es nur früher getan, dann wäre alles anders.«
    Die Neugier erwachte in ihr, und mit der Habgier der Bäuerin fragte sie:
    »Ist sie reich?«
    Als Jaime mit dem Kopf nickte, war sie nicht überrascht. Nur eine Dame mit sehr großem Vermögen durfte daran denken, sich mit dem Letzten der Febrer zu verbinden.
    Die arme Madó dachte sofort an ihre Küche, hängte schon im Geiste die blanken Kupferkessel auf, sah Feuer unter allen Herden, die Küche voll von Mägden mit aufgekrempelten Ärmeln, rückwärts geschobenem Kopftuche und fliegendem Zopfe und sich selbst
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