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Die Tote von Schoenbrunn

Die Tote von Schoenbrunn

Titel: Die Tote von Schoenbrunn
Autoren: Edith Kneifl
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leise.
    Wieder einmal beklagte Gustav sein Schicksal. Mit drei starrköpfigen Frauen zusammenzuleben, war kein Honiglecken. Pflichtschuldig kostete er die brühend heiße Hühnersuppe.
    „Vorsicht, heiß!“
    „Verdammt!“, fluchte er.
    „Hast du dir die Zunge verbrannt?“ Vera lächelte ihn spöttisch an.
    Dorothea würde bald von ihrem Konzert im Musikverein nach Hause kommen. Gustav war sich sicher, dass alle Theatervorstellungen und Konzerte abgesagt worden waren. Er war auf dem Heimweg einigen Besuchern des k.k. Hofoperntheaters begegnet.
    Da er keine Lust hatte, sich heute mit den drei streitbaren Frauen in seinem Haushalt auseinanderzu­setzen, machte er sich bald wieder auf den Weg in die Innere Stadt und mischte sich unters Volk.
    Hunderte Wiener zogen durch die Hofburg und standen eine geraume Zeit dicht an dicht im großen Hof, wo sie lautlos verharrten, so als wollten sie dem Kaiser, den sie in der Burg wähnten, hierdurch ihr Beileid ausdrücken.
    Gegen acht Uhr abends strömten die Massen aus den Vorstädten, wohin die traurige Kunde inzwischen ebenfalls gedrungen war, in den ersten Bezirk. Viele hofften, hier genauere Auskunft über das Verbrechen zu erhalten. Andere wiederum fuhren aus dem Zentrum hinaus in die Vororte, um ihren Familien die furchtbare Nachricht zu überbringen. Die Pferdetramways waren ebenso überfüllt wie die Elektrische. Die Fiaker hatten Hochbetrieb.
    Ein richtiger Ansturm erfolgte auf die Telegrafenämter, besonders auf dem Haupttelegrafenamt am Börseplatz drängten sich die Menschen um den Schalter. Die Telefone ruhten keinen Moment. Auch die Kaffeehäuser waren voller als an gewöhnlichen Abenden, denn hier versammelten sich die Leute, um von dem einen oder anderen Bekannten neue Mitteilungen zu erhalten.
    Gustav betrat das Café Schwarzenberg am Ring. Dort kam ihm sogleich der erste Satz zu Ohren, den Seine Majestät der Kaiser angeblich gesagt hatte, nachdem ihm die Botschaft von Sisis Ermordung überbracht worden war: „Mir bleibt wirklich nichts erspart.“ Der Egoismus und die Gefühllosigkeit des alten Herrschers empörten ihn. Plötzlich bildete er sich ein, diese Anarchisten verstehen zu können. Nicht dieses Schwein, das Ihre Majestät umgebracht hatte. Vielleicht hätte der Lucheni lieber deren alten Gatten ins Jenseits befördern sollen, dachte Gustav und bestellte einen zweiten Einspänner.
    In seinem Stammcafé hatten sich viele Besucher aus dem Musikverein und dem Konzerthaus eingefunden. Ausnahmsweise befanden sich heute zahlreiche Damen der guten Gesellschaft in dem beliebten Kaffeehaus, das sonst eher den Männern vorbehalten war. Dieser Samstag, der 10. September, war eben ein ganz besonderer Tag, ein Tag, der in die Geschichte eingehen würde.
    Gustav kehrte erst spät abends nach Hause zurück. Er saß noch lange im Dunkeln in dem bequemen Ohrensessel seines Großvaters beim Fenster, starrte auf die nächtliche Stadt hinaus und sann über sein eigenes Leben nach.
    Sein Großvater Albert von Karoly war Ungar gewesen und wegen seiner Verdienste als Stallübergeher des Kaisers nicht nur geadelt worden, sondern hatte auch eine geräumige Dienstwohnung über den k.k. Hofstallungen zugewiesen bekommen. Er hatte eine schöne Frau von älterem Adel geheiratet und gemeinsam mit ihr und den beiden Töchtern ein relativ sorgenfreies Leben geführt. Als er starb, ließ er seine Töchter und seinen Enkel nicht unversorgt zurück. Da beide Töchter nie geheiratet hatten, war das väterliche Erbe bald aufgebraucht. Gisela, Gustavs Mutter, hatte als stadtbekannte Operettensängerin auch ein eigenes Einkommen gehabt, doch als sie mit kaum vierzig Jahren schwer erkrankte, schrumpfte ihr Vermögen rasch dahin. Während seiner acht Jahre bei der Armee war es Gustav mit seinem Sold und dem Geld, das ihm seine Mutter hin und wieder geschickt hatte, gelungen, seine Extravaganzen zu bestreiten. Als er nach dem Abschied vom Militär und dem Tod seiner Mutter ein paar Monate in Paris und anschließend ein Jahr in London lebte, brachte er die letzten Ersparnisse durch. Der Karoly’sche Haushalt stand damals kurz vor dem Bankrott. Seit Gustav als Privatdetektiv arbeitete, ging es wieder ein bisschen bergauf. Allerdings hatte er kein regelmäßiges Einkommen. Meistens bezahlten Vera und er von seinen Honoraren die Schulden, die sich in den vergangenen Wochen oder Monaten angehäuft hatten.

3
    Kurz nach acht Uhr abends machte sich Gustav auf den Weg zum
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