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Die Tote von Schoenbrunn

Die Tote von Schoenbrunn

Titel: Die Tote von Schoenbrunn
Autoren: Edith Kneifl
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gegen Allerhöchstdieselbe. Ihre Majestät fiel zu Boden, erhob sich jedoch wieder und erreichte den Dampfer, wo sie bald darauf in Ohnmacht fiel. Der Kapitän des Schiffes wollte das Schiff nicht abgehen lassen, gab indeß, später über Bitten des Gefolges Ihrer Majestät, das Zeichen zur Abfahrt. Das Schiff hielt jedoch, nachdem es den Hafen verlassen hatte, wieder an und kehrte zum Landungsplatze zurück. Ihre Majestät hatte das Bewusstsein nicht wiedererlangt und Allerhöchstdieselbe wurde auf einer rasch hergestellten Tragbahre nach dem Hotel Beau Rivage gebracht. Die Kleider Ihrer Majestät zeigten Blutflecken. Der Thäter wurde festgenommen.
    Ihre Majestät Kaiserin Elisabeth gab einige Augen­blicke, nachdem Allerhöchstdieselbe in das Hotel gebracht worden war, den Geist auf. Es wurde festgestellt, dass Ihre Majestät einen Dolchstich in die Herzgegend erhalten hatte. Der Mörder ist ein in Paris geborener italienischer Anarchist namens Lucheni.“
    Vera runzelte ihre hohe Stirn.
    „Merkst du etwas? Deine Lieblingszeitung ist wieder einmal schlechter informiert als dieses Boulevardblatt.“
    „Selbstverständlich unterscheidet sich die Berichterstattung der beiden Zeitungen fundamental! Das brauche ich dir wohl nicht zu erklären. Die Neue Freie Presse beschränkt sich eben auf die Fakten.“
    „Und die scheinen nicht zu stimmen. Die Kaiserin ist nicht bei ihrer Ankunft in Genf, sondern erst bei ihrer Abreise ermordet worden.“
    „Macht das einen Unterschied?“, fragte Gustav.
    „Wer weiß. Wir werden es erfahren. Jedenfalls ist das, was hier steht, sicher nicht die ganze Wahrheit. Was denkst du? Wurde sie wirklich von einem Anarchisten umgebracht? Ich kann das nicht ganz glauben …“
    „Wer soll es sonst getan haben? Es ist allgemein bekannt, dass sich in der schönen Schweiz jede Menge Anarchisten herumtreiben.“
    „Bestimmt war es ein gedungener Mörder. Vielleicht wurde sie im Auftrag des englischen oder russischen Herrscherhauses ermordet? Oder es steckt gar jemand vom Wiener Hof dahinter? In letzter Zeit war sie dem Hochadel richtiggehend verhasst.“
    „Deine Fantasie geht wieder einmal mit dir durch, Vera. Vielleicht solltest du auch Kriminalgeschichten schreiben, so wie deine Freundin Auguste Groner.“
    „Gustav, denk nach. Wer könnte Interesse am Tod der österreichischen Kaiserin haben? Die Kriegstreiber in ganz Europa natürlich. Ihre Majestät war für den Frieden, auch wenn sie Bertha von Suttners Briefe nie beantwortet hat. Und trotz ihrer ständigen Abwesen­heit von Wien hatte sie großen Einfluss auf Seine Majestät den Kaiser.“
    „Und wem sollen wir jetzt bitte den Krieg erklären? Vielleicht gar der Schweiz? Nein, liebe Tante, das sind reine Hirngespinste. Ich fürchte, du leidest ein bisschen unter Verfolgungswahn. Als sich Kronprinz Rudolf umgebracht hat, hast du auch geglaubt, dass ihn die Geheimen am Gewissen haben.“
    „Ich sehe schon, du bist für logische Argumente nicht zugänglich. Ich muss mit Dorothea reden“, beendete Vera das Gespräch und erhob sich.

2
    Dorothea, die fünfundzwanzigjährige Tochter von Ve­ras verstorbener Freundin Valerie Palme, wohnte vorübergehend bei ihnen. Sie wartete auf einen Studienplatz in Zürich, da sie unbedingt Medizin studieren und so wie ihr Vater Arzt werden wollte.
    Veras Jugendfreundin hatte einen Hamburger jüdischer Herkunft geheiratet, der in Wien Medizin studiert hatte. Nach Dorotheas Geburt war sie ihm in die deutsche Hansestadt gefolgt, wo er ein paar Jahre später an der Cholera starb. Doktor Palme hatte sich in dieser Stadt der reichen Pfeffersäcke um die Ärmsten der Armen gekümmert und sich bei ihnen angesteckt. Valerie war nach seinem Tod mit ihrer Tochter nach Wien zurückgekehrt. Vergeblich hatte sie in der Kaiser­stadt darum gekämpft, Medizin studieren zu dürfen. Da sie jahrelang mit ihrem Mann zusammengearbeitet und viel von ihm gelernt hatte, setzte sie seine Tätigkeit in den Elendsvierteln von Wien fort, behandelte hauptsächlich Kinder und Frauen, die unter Keuchhusten, Bronchitis oder der Krätze und Ekzemen litten.
    Als sie wegen Kurpfuscherei angezeigt und verhaftet wurde, hatte sie einen Nervenzusammenbruch und wurde in die k.k. Irrenanstalt auf dem Michelbeuerngrund eingeliefert. Ihre ohnehin angegriffene Gesundheit verschlechterte sich rapide durch die brutalen und rückständigen Behandlungsmethoden der Ärzte. Man versetzte sie in Schockzustände, indem man in ihrer unmittelbaren
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