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Die Tote von Schoenbrunn

Die Tote von Schoenbrunn

Titel: Die Tote von Schoenbrunn
Autoren: Edith Kneifl
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Kaiserin-Elisabeth-Bahnhof.
    Der Schienenstrang, der nach Westen, in die ehemalige Heimat der Kaiserin führte, hatte einst ihren Namen erhalten, und auf diesen Schienen vollendete sie nun ihre letzte Reise.
    Durch die Mariahilfer Straße schoben sich die Menschenmassen. Gustav kam kaum voran.
    Plötzlich tauchte Militär auf. Bataillone der Infanterie und Artillerie errichteten ein Spalier. Sie sperrten die Gegend um den Bahnhof hermetisch ab, doch es kam zu keinerlei Protesten. Bevölkerung und Militär schienen in der Trauer eins.
    Gegen halb neun fuhren die ersten Wagen zum Bahnhof, vorüber an der schnurgeraden Kette von Soldaten, deren Uniformknöpfe, Rosetten und Adler in der Dunkelheit blitzten.
    Das Bahnhofsgebäude selbst war in schwarzes Trauergewand gehüllt. Mächtige Fahnen wehten von den Türmen und dem Giebel.
    Gustav traf seinen Freund, Polizei-Oberkommissär Rudi Kasper, vor dem Bahnhof. Rudi nahm ihn mit auf den Perron, wo sich neben der kaiserlichen Familie der gesamte k.u.k. Hofstaat und die wichtigsten Würdenträger des Reiches versammelt hatten, um die Kaiserin zu empfangen und ihr das letzte Geleit zu geben. Inmitten der hochherrschaftlichen Trauergemeinde erblickte Gustav Bürgermeister Lueger. Plötzlich war er froh, Dorothea nicht mitgenommen zu haben. Sie hasste den Wiener Bürgermeister aufgrund seiner deutschnationalen Gesinnung und seiner antisemitischen Äußerungen und hätte andauernd missbilligende Bemerkungen von sich gegeben. Falschheit und Heuchelei waren ihr ein Gräuel. Sie machte ihrem Herzen immer und überall Luft. Es schien ihr völlig egal zu sein, wie unpassend oder gar taktlos ihr Benehmen auf andere wirken mochte.
    Zehn Uhr abends. Aus der Ferne hörte man das Husten und Schnauben der Lokomotive. Die acht Waggons fuhren nahezu lautlos im Bahnhof ein. Fackelträger beleuchteten den Perron. Das Feuer spiegelte sich in den hohen Scheiben des Salonleichenwagens. Gustav erhaschte einen Blick auf den mit schönen Kränzen geschmückten Sarg Ihrer Majestät und sogleich kamen ihm wieder die Tränen.
    „Reiß dich gefälligst zusammen“, fauchte sein Freund Rudi ihn an. Bald darauf ließ er Gustav wortlos stehen und begab sich zum Hofsalon, wo die tote Kaiserin aufgebahrt und eingesegnet werden sollte. Gustav wagte nicht, ihm zu folgen, da in diesem Augen­blick die Offiziere am Perron Front machten und salutierten. Der Tambour schlug den Generalmarsch auf die mit einem Trauerflor umhüllte Trommel und der Trauerzug setzte sich in Bewegung. Gustav wurde an die Mauer gedrückt, konnte keinen zweiten Blick mehr auf den Sarg werfen, der von acht Edelknaben mit Wachs­fackeln, sechs Arcièren und sechs ungarischen Leib­garden sowie mehreren Leibgardereitern begleitet wurde.
    Rudi hatte gemeint, die Einsegnung in dem zu einer Kapelle umgestalteten Hofsalon des Bahnhofs würde nicht lange dauern. Daher eilte Gustav über die mit schwarzen Teppichen bedeckte Freitreppe hinaus, um vor dem Bahnhof einen guten Platz zu ergattern.
    Als der von acht Lakaien getragene Sarg in Sicht kam, geriet die Volksmenge in großen Aufruhr. Die Frauen schluchzten und viele Männer wandten sich erschüttert ab, um ihre Tränen zu verbergen, als der Sarg in den Leichenwagen geschoben wurde.
    Mittlerweile hatte das Gefolge der toten Kaiserin die Trauerkarossen bestiegen und langsam setzte sich der düstere Zug in Bewegung, glitt wie eine schwarze Riesenschlange durch die Mariahilfer Straße, dann die Babenbergerstraße entlang auf die Ringstraße und durch das äußere Burgtor in die Hofburg. Wo auch immer die gespensterhafte Prozession vorüberkam, erklang gedämpfter Trommelwirbel. Das Militär leistete die Ehrenbezeugung und die Menge entblößte das Haupt, wenn sie des Trauerwagens ansichtig wurde. Die Leute achteten nicht auf die goldstrotzenden Uniformen der Garden, nicht auf die spanische Tracht, die weiß gepuderten Perücken des Geleites, nicht auf die seltsam altherkömmlichen Laternenträger zu Pferde. Alle Blicke waren auf den hohen, feierlich dunkel verhängten Wagen gerichtet, der Ihre Majestät barg.
    Eine weitere Einsegnung fand in der Hofburgpfarrkirche statt. Zur Hofburg hatten die Massen keinen Zutritt. Dennoch blieben viele auf der Baustelle bei der Neuen Burg. Eine merkwürdige Stille kehrte ein. Die sonst so tratschfreudigen Wiener hielten schweigend Andacht. Nur hin und wieder ertönte ein Hüsteln oder verlegenes Räuspern.
    Gustav machte sich bald auf den Heimweg.
    Vor dem
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