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Die Tote von Schoenbrunn

Die Tote von Schoenbrunn

Titel: Die Tote von Schoenbrunn
Autoren: Edith Kneifl
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Eingang zu den k.k. Hofstallungen stolperte er über eine alte Frau, eine der unzähligen Obdachlosen, die in der Reichshaupt- und Residenzstadt ums Überleben kämpften. Statt Schuhen hatte sie mit einer Schnur Fetzen um ihre geschwollenen Füße gebunden. Obwohl sie ihn nicht anbettelte, griff Gustav nach seinem Portemonnaie und wollte ihr ein paar Kreuzer geben, da stand sie plötzlich auf und trat ganz dicht an ihn heran.
    „Du kommst zu spät. Sie ist tot“, murmelte sie und blies ihm ihren stinkenden Atem ins Gesicht.
    Angeekelt wandte er sich ab und ging weiter. Die Alte folgte ihm. „Es wird noch viele schöne Tote geben. Er ist wieder da und holt sich eine nach der anderen.“
    „Wer ist wieder da? Von wem sprichst du?“, herrschte Gustav sie an.
    „Der Teufel“, flüsterte die zahnlose Alte.

4
    Um acht Uhr früh ließ man das Publikum in die Hofburgpfarrkirche ein, wo es Ihrer Majestät im geschlossenen Sarg, der auf einem Schaubette ruhte, die letzte Ehre erweisen konnte. Gustav wartete schon seit einer Stunde vor dem Tor. Vor ihm standen an die hundert Leute. Die Menschenschlange hinter ihm war schier endlos.
    Als er schließlich die Kapelle betrat, wurde ihm speiübel. Dieser verdammte Weihrauch! Kirche und Oratorien waren schwarz spaliert, die Betstühle dunkel überzogen, die Altäre mit schwarzen Kreuztüchern behängt, auf denen die Wappen Ihrer Majestät angebracht waren. Über dem ringsum beleuchteten Schaubett schwebte ein schwarzer Samtbaldachin. Auf dem Bette waren die Kaiser- und Königskrone, der Erzherzoghut, die Insignien des Sternkreuzordens, ein Paar weißer Handschuhe und der Fächer Ihrer Majestät auf schwarzen, goldbordierten Samtpölstern ausgelegt.
    All das Gold und Geschmeide drohte sich vor Gustavs Augen in totaler Schwärze aufzulösen. Er klammerte sich an eine der roten Absperrungskordeln und tastete sich langsam vor zum Sarg.
    Gerade wurde eine Seelenmesse gelesen. Als er endlich bis zur Kaiserin vorgedrungen war, hoben die Sänger der Hofmusikkapelle zum „Miserere“ an.
    Gustav fühlte sich einer Ohnmacht nahe. Da packte ihn plötzlich jemand am Arm. Er schaute auf und blickte in die Augen seines Freundes Rudi Kasper.
    „Mir ist schle…echt“, stammelte Gustav.
    Rudi zerrte ihn von dem Schaubett weg und geleitete ihn aus der Kapelle. „Du brauchst einen Schnaps.“ Er hängte sich bei ihm ein und schleppte ihn ins Café Central.
    Dieses Kaffeehaus im Bank- und Börsengebäude in der Herrengasse, das der berühmte Architekt Heinrich von Ferstel im toskanischen Neorenaissance-Stil errichtet hatte, war besonders bei Literaten beliebt. Genau das war auch der Grund, warum Gustav das Central eher mied. Es zählte jedenfalls nicht zu seinen Lieblings­lokalen. Er fühlte sich in Gesellschaft der literarischen und anderer geistiger Größen der Kaiserstadt nicht wohl, kam sich deplatziert vor. Das präpotente Gehabe dieser Leute schüchterte ihn ein. Außerdem hatte er keine Lust, Graf Batheny zu begegnen, der ebenfalls Stammgast im Café Central war. Gustav hielt den Grafen für seinen Vater. Der Graf hatte die Vaterschaft auch nie geleugnet, seinen Sohn jedoch nicht offiziell anerkannt. Und das verübelte Gustav ihm bis heute.
    Kaum hatten sie Platz genommen, berichtete Rudi seinem Freund von dem Attentäter.
    „Der Mörder heißt Luigi Lucheni, 1873 in Paris geboren. Ein Jahr später hat ihn seine Mutter nach Parma gebracht und dem Findelhaus übergeben. Danach kam er zu einer Bäuerin in Pflege. Mit zehn Jahren wurde er auf die Straße gesetzt und musste sich sein Brot selbst verdienen oder stehlen. Später hat er an der Eisenbahnlinie Parma–Spezia gearbeitet, ist daraufhin eine Zeit lang in die Fremde gegangen und wurde nach seiner Rückkehr in das 13. Kavallerieregiment eingereiht. Nach dem afrikanischen Feldzug hat man ihm den Posten eines Gefängniswärters angeboten, den er aber ausschlug. In letzter Zeit hat er als Steinhauer in Lausanne gelebt. Er ist ein armes Schwein, das sag ich dir.“
    „Hast du etwa Mitleid mit ihm?“
    „Für einen Polizeikommissär der k.u.k. Monarchie ist Mitleid ein Fremdwort“, antwortete Rudi. Sein Blick strafte ihn Lügen. Gustav wusste seit langem, dass Rudi ein verkappter Revolutionär war. Er fragte sich nicht zum ersten Mal, was ein Mann mit seiner politischen Gesinnung bei der Polizei verloren hatte.
    Rudi stammte aus einfachen Verhältnissen. Sein Vater führte ein Wirtshaus in Margareten, in der Nähe des
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