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Die Tote von Schoenbrunn

Die Tote von Schoenbrunn

Titel: Die Tote von Schoenbrunn
Autoren: Edith Kneifl
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folgte.
    Auch Gustav sah zu, dass er weiterkam. Er eilte nicht in dieselbe Richtung wie sein Freund, sondern bahnte sich den Weg durch die Massen an der Albertina vorbei und ging über die Ringstraße nach Hause.
    Vera von Karoly und Dorothea waren gerade erst vom Begräbnis zurückgekommen. An der Leichenfeier hatten auch sie nicht teilnehmen dürfen, aber sie hatten es ebenfalls geschafft, bis in die Nähe der Kapuzinergruft vorzudringen und einen Blick auf den gramgebeugten Kaiser und vor allem auf Erzherzogin Marie Valerie zu werfen.
    „Sie tut mir am meisten leid“, sagte Dorothea. „Ich weiß, wie schlimm es ist, in jungen Jahren die Mutter zu verlieren.“
    „Habt ihr von der Schießerei nach dem Begräbnis nichts mitgekriegt?“, fragte Gustav.
    „Eine Schießerei?“ Vera runzelte die Stirn.
    „Ja, irgendeiner hat, als die hohen Gäste aufbrachen, zwei Schüsse abgegeben.“
    Die Frauen blickten ihn irritiert an.
    „Egal, Rudi wird mir schon berichten, was da los war.“
    „Ich wollte dir eigentlich ganz was anderes erzählen. Stell dir vor, ich weiß zufällig, was bei der Autopsie der Leiche Ihrer Majestät herausgefunden worden ist.“
    „Ich bitte dich, Dorothea, sei nicht so pietätlos.“
    „Sei du lieber nicht so scheinheilig, Gustl. Ich weiß genau, dass dich dieser Autopsiebericht brennend interessiert. Die Ärzte haben festgestellt, dass eine dreieckige Wunde eine innere Blutung hervorgerufen hat. Alle Gerüchte, dass die Kaiserin an einem Herzleiden litt und den Aufregungen erlegen sei, müssen also als hinfällig betrachtet werden, sagt Professor Abendrot. Ihr Tod ist durch den Stich mit einer dolchartigen Feile herbeigeführt worden, daran gibt es keinen Zweifel mehr.“
    „Woher weißt du das?“
    „Ich habe eben gute Beziehungen zur Gerichtsmedizin.“ Sie zwinkerte Vera belustigt zu.
    „Professor Abendrot zählt zu Dorotheas Verehrern“, klärte Vera ihren Neffen auf. „Wir haben ihn zufällig bei den Begräbnisfeierlichkeiten getroffen.“
    „Es gibt keinen Zufall, hat Dorothea letztens behauptet.“
    „Hast du mir überhaupt zugehört, Gustl? Professor Abendrot meinte, die Mordwaffe sei eine zugespitzte Feile gewesen.“
    Mit gelangweilter Miene zündete sich Gustav ein Zigarillo an.
    „Musst du dauernd rauchen?“, fragte ihn Vera gereizt.
    „Wenn es euch stört, lass ich euch beide gern allein.“ Gustav traf Anstalten aufzustehen.
    „Bleib sitzen!“, sagte Dorothea. „Du willst doch sicher wissen, was bei der Sektion herausgekommen ist.“
    Gnädig nahm Gustav wieder Platz.
    „Also, die Sektion hat ergeben, dass der Mörder den Stoß mit enormer Kraft geführt hatte. Das Mordinstrument drang auf Höhe der vierten Rippe in den Körper, nahm seinen Weg an dieser Rippe entlang, durchstach die Lunge und den Herzbeutel, durchschnitt die linke Herzkammer und trat im unteren Teile derselben wieder aus dem Herzen aus. Der Tod ist infolge des Blut­ergusses im Herzbeutel eingetreten, vermutet der Herr Professor“, berichtete sie stolz, während Josefa ihnen einen Milchrahmstrudel servierte.
    „Der Herr Professor meint, der Herr Professor vermutet … weiß er denn irgendetwas mit absoluter Sicher­heit, dein Herr Professor?“
    „Hör auf, Gustav!“ Vera bedachte ihren Neffen mit einem strafenden Blick.
    „Wenn’s wahr ist! Der Abendrot ist ein honetter Mensch. Aber ist er nicht viel zu alt für dich?“
    „Er ist keine siebzig“, warf Dorothea scheinbar entrüstet ein.
    „Aber mindestens neunundsechzig. Und soviel ich gehört habe, ist er in Fachkreisen nicht ganz unumstritten.“
    „Warum wohl? Natürlich weil er Jude ist. Meiner Seel, Gustav, du bist manchmal richtig naiv.“ Dorothea stand auf. „Ich komme gleich wieder.“ Sie schnappte sich den großen Schlüssel vom Bord im Vorzimmer und verließ die Wohnung.
    „Nimm eine Kerze mit. Es wird schon finster!“, rief Vera ihr nach. Der Abort befand sich draußen am dunklen Gang.
    „Du wirst doch nicht etwa auf den alten Abendrot eifersüchtig sein, lieber Gustav“, spöttelte Vera, nachdem Dorothea die Wohnungstür hinter sich ins Schloss fallen hatte lassen.
    Gustav wartete nicht auf Dorotheas Rückkehr. Er zog sich in sein Zimmer zurück, setzte sich in den großen Ohrensessel, schenkte sich einen Cognac ein und wollte vor dem Zubettgehen in aller Ruhe ein Zigarillo rauchen. Doch er fand keine Ruhe. Ständig musste er an die Schüsse am Neuen Markt denken. Wem hatten sie gegolten? War es ein erneuter
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