Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Tote von Harvard

Die Tote von Harvard

Titel: Die Tote von Harvard
Autoren: Amanda Cross
Vom Netzwerk:
darüber, keinen Platz im Leben zu haben und kein Leben zu leben. Als sie sich das Gift besorgte, sagte sie, sie wolle es für Ratten. Eleanor Marx sagte, sie wolle es für einen Hund. Sie war übrigens die Tochter von Karl Marx.«
    »Arsen«, sagte Cunningham. »Und trotzdem hat sich Janet für Zyankali entschieden. An Arsen ist viel leichter heranzukommen.«
    »Normalerweise ja. Aber Janet hatte das Zyankali. Sie hatte es seit vielen Jahren. Als sie noch mit Moon verheiratet war, erzählte er ihr von den Kapseln, und sie stahl ihm einige. Sie nahm nur eine oder zwei ein – wahrscheinlich zwei, denn sie fürchtete bestimmt, daß die Wirkung über die Jahre nachgelassen haben könnte.«
    »Wäre es nicht einfacher gewesen, sie hätte ihre Schlaftabletten genommen?«
    »Viel einfacher. Aber Zyankali hat zwei wichtige Eigenschaften, weshalb auch Soldaten und Spione es benutzen. Es wirkt schnell und endgültig. Es gibt keinen Weg zurück, jede Rettung kommt zu spät.«
    »Aber warum mußte sie es im Büro des Vorsitzenden nehmen?«
    »Das kann ich nicht erklären, nur raten. Ich glaube, sie meinte es als Geste gegenüber einem Mann – vielleicht eine Rachegeste. Der Vorsitzende hatte ihr an jenem Tag alle Hoffnung genommen. Weißt du, es gab noch ein anderes Gedicht, mit dem sie sich beschäftigte, auch von Eierbert. Es heißt ›Hoffnung‹. In diesem Gedicht wird deutlich, daß der Dichter erwartete, etwas von der ›Hoffnung‹ zu-rückzubekommen, weil er so fest an sie geglaubt hatte. Die Schluß-
    zeile lautet: ›Ach, Undankbare, nie mehr etwas ich dir bring’, auf was ich hoffte, war ein Ring.‹ – Das sagt doch alles, findest du nicht?
    Außerdem«, fügte Kate fast beiläufig hinzu, »hätte sie sich in ihrem eigenen Büro umgebracht, wäre sie vielleicht erst nach Tagen von der Putzfrau gefunden worden, womit noch einmal deutlich wird, worin Janet ihr eigentliches Scheitern sah: Niemand würde sie vermissen. Von der Fachbereichssitzung am Nachmittag vor ihrem Tod habe ich dir noch nicht erzählt. Das kann vielleicht warten. Nur so 154

    viel: Sie muß für Janet die Hölle gewesen sein.«
    »Und du hast Moon gefragt, ob er es für möglich hält, daß sie ihm die Kapseln gestohlen hat?«
    »Ja. Moon sagte, er habe ihr die Kapseln gezeigt. In jenen Tagen sprach er oft über den Tod und die schreckliche Zeit während des Krieges im Pazifik. Ich erinnere mich noch gut. Und, aufrichtig wie er ist, gestand er mir, er habe es damals nicht für ausgeschlossen gehalten, daß Janet ein oder zwei Kapseln an sich genommen hatte.
    Aber für ihn habe jeder das Recht auf seinen eigenen Tod. Außerdem wäre ihm nie in den Sinn gekommen, Janet könne sich umbringen wollen, schon gar nicht mit Zyankali. Aber die Zeit verändert die Menschen. Und Janet war schon immer eine entschiedene Frau.
    Nachdem sie einmal den Entschluß gefaßt hatte, zu sterben, hatte sie niemand abhalten können. Und wie Eleanor Marx, Emma Bovary oder Simone Weil wollte sie auf keinen Fall gerettet werden. Ich möchte gern glauben, daß sie mit der Vorstellung starb, zu einem heiligen Fest geladen zu sein, aber ich glaube es nicht. Solche Vorstellungen waren nur zu Herberts Zeit und Menschen wie Herbert möglich. Um meinetwillen möchte ich glauben, daß sie es geglaubt hat.«
    155

Dreizehn
    Die Fakultät nimmt folgenden Beschluß des Untersuchungskomitees über den Status von Frauen an: »daß die Anzahl von Frauen an der Fakultät erhöht werden muß« und daß die Fakultät ihre Verwal-tungsorgane, ihre Fachbereichsvorsitzenden und Mitglieder der Berufungskomitees anhält, auf dieses Ziel hinzuarbeiten.

    Beschlossen auf einer ordentlichen Sitzung der geisteswissenschaftlichen Fakultät

    Und so hatte Kate zum Schluß noch das halbe Semester zu ihrer freien Verfügung. Meistens arbeitete sie an ihrer Vorlesung, die sie Ende Mai am Radcliffe-Institut halten sollte. Schon während der Ausarbeitung widmete sie sie Janet. Herbert hatte geschrieben: Wer hätte gedacht, daß mein verdorrtes Herz von neuem zu sprießen begänne. Aber auch als Kates Herz sich mit Einzug des Frühlings wieder aufhellte, trauerte sie darum, daß es Janets Herz nicht beschieden war, von neuem zu sprießen.
    Als Kate im Mai dann schließlich ihre Vorlesung hielt, im großen Hörsaal des Agassiz-Hauses, wo solche Ereignisse immer stattfan-den, sprach sie von den vielen Wegen, die Frauen offenstünden, ihr Leben neu zu entwerfen. (»Ich werde nicht kommen«, sagte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher