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Die Tote im Götakanal

Die Tote im Götakanal

Titel: Die Tote im Götakanal
Autoren: Maj Sjöwall;Per Wahlöö
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Glühende Punkte tanzten vor Martin Becks Augen. Dicht hinter sich hörte er Kollbergs Keuchen. Sie bogen um die Ecke und stürzten durch die Anlagen. Und nahmen alle zur selben Sekunde das Bild wahr. Die zweite Etage des Hauses in Runebergsgatan. Der schwache rechteckige Schein, der anzeigte, daß im Schlafzimmer Licht brannte und das Rollo heruntergezogen war.
    Martin Beck fühlte auf einmal keinen Schmerz mehr in der Seite und konnte auch wieder atmen.
    Als er Birger Jarlsgatan überquerte, wußte er, daß er schneller rannte, als er je in seinem Leben gerannt war, und doch war Ahlberg drei Schritte vor ihm und Kollberg an seiner Seite. Als sie das Haus erreichten, hatte Ahlberg die Tür schon geöffnet.
    Der Aufzug war nicht unten, aber es dachte sowieso niemand daran, ihn zu benutzen. Drei Stufen auf einmal nehmend, ging es hinauf. Auf dem ersten Treppenabsatz hatte Martin Beck schon den Wohnungsschlüssel in der Hand. Weiter hastete er hoch, Ahlberg hinterher – Kollberg hatte unten seinen Posten bezogen.
    Den Schlüssel ins Schloß, herumgedreht… Martin Beck warf sich gegen die Tür, die sich eine Handbreit öffnete und dann von der Sicherheitskette blockiert wurde. Aus der Wohnung kein menschlicher Laut, nur das anhaltende Surren der Türglocke. Die Zeit schien stehenzubleiben. Martin Beck konnte den Läufer im Flur, ein Handtuch und einen Schuh auf dem Boden erkennen.
    »Geh beiseite«, flüsterte Ahlberg heiser. Er war von einer eiskalten Ruhe gepackt.
    Es klang, als flöge die ganze Welt in Stücke, als Ahlberg die Sicherheitskette durchschoß. Martin Beck, der sich immer noch gegen die Tür gestemmt hatte, stürzte herein; er flog durch die Diele und das Wohnzimmer.
    Das Bild, das sich ihm bot, war unwirklich und leblos wie eine Szene aus Madame Tussauds Gruselkabinett. Es wirkte wie ein überbelichtetes Foto, getränkt in fließend weißes Licht. In Sekundenschnelle hatte er jede der gräßlichen Einzelheiten erfaßt.
    Der Mann war immer noch im Mantel. Sein brauner Hut lag auf dem Fußboden, zur Hälfte bedeckt von dem zerrissenen blauweißen Baumwollrock.
    Dies hier war der Mann, der Roseanna McGraw getötet hatte. Er stand über das Bett gebeugt, den linken Fuß auf dem Boden und das rechte Knie auf dem Bett; es preßte schwer gegen den linken Oberschenkel der Frau. Die linke, sonnenverbrannte Hand lag über ihrem Kinn und dem Mund, mit zwei Fingern hielt er ihr die Nase zu. Die rechte lag etwas tiefer, suchte die Gurgel und hatte sie in dieser Sekunde gefunden.
    Die Frau lag auf dem Rücken. Martin Beck konnte ihre weitaufgerissenen Augen erkennen, die zwischen den gespreizten Fingern des Mannes hervorstarrten. Ein dünner Streifen Blut lief an ihrer Wange herunter. Sie hatte das rechte Bein hochgezogen und versuchte es ihm; gegen die Brust zu stemmen.
    Mit beiden Händen hielt sie sein rechtes Handgelenk gepackt. Sie war nackt. Jeder Muskel in ihrem Körper war angespannt, und die Sehnen traten so deutlich hervor wie auf, einem anatomischen Plakat.
    Eine Hundertstelsekunde, aber lange genug, daß jede Einzelheil sich unauslöschbar in Martin Becks Gedächtnis eingraben konnte… Dann löste der Mann seinen Griff, taumelte auf die Füße und drehte sich mit einer blitzschnellen Bewegung um.
    Zum erstenmal sah Martin Beck den Mann, den er sechs Monate und neunzehn Tage gejagt hatte.
    Den Mann, der Folke Bengtsson: hieß, der aber nur noch wenig Ähnlichkeit mit dem Mann aufwies mit dem er sich an einem Nachmittag kurz vor Weihnachten in Kollbergs Büro unterhalten hatte.
    Das Gesicht war starr und nackt, die Pupillen verengt. Die Augen flackerten hin und her wie bei einem in die Falle gegangenem Marder. Er stand vornübergebeugt mit leicht angewinkelten Knien da, während sich sein Körper in seltsam rhythmischen Windungen bewegte.
    Aber auch das nur eine Zehntelsekunde, dann warf er sich ihnen mit einem erstickt gurgelnden Schluchzen entgegen, im selben Augenblick, als Martin Beck mit der rechten Handkante sein Schlüsselbein traf und Ahlberg sich von hinten auf ihn stürzte und seine Arme zu packen versuchte.
    Ahlberg wurde von seiner Pistole behindert, und Martin Beck war durch den plötzlichen Angriff völlig überrumpelt, nicht zuletzt, weil er im Moment nur daran denken konnte, daß die Frau, die immer noch schlapp und ausgestreckt, mit offenem Mund und halbgeschlossenen Augen, auf dem Bett lag, sich endlich bewegen mußte.
    Der Kopf des Mannes hatte Martin Beck mit einer erstaunlichen Kraft
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