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Die Tortenbäckerin

Die Tortenbäckerin

Titel: Die Tortenbäckerin
Autoren: Brigitte Janson
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eher ulkig. Siggo verkniff sich ein Grinsen. Er konnte sich gut daran erinnern, wie man sich fühlte, wenn man von Erwachsenen nicht ernst genommen wurde.
    Â»Wie du siehst, bin ich pünktlich.«
    Â»Vortrefflich«, meinte der Junge. »Meiner Ehre als zuverlässiger Bote ist dies gewiss zuträglich.«
    Â»Red nicht so hochgestochen, sondern finde lieber heraus, wo ich die Säcke hinbringen soll.«
    Oliver flitzte davon, verschwand in einem der zwei Lagerhäuser und war schon wenige Augenblicke später wieder da.
    Â»Hab bloß ’nen pennenden Wachmann gefunden«, informierte er Siggo und vergaß ganz seine einstudierte feine Sprache. »Wenn ich meine Arbeit so machen würde wie der, dann wäre ich schon zehnmal verhungert.«
    Siggo fand, der Junge sah ohnehin nicht besonders wohlgenährt aus, sagte aber nichts. Wo käme er hin, wenn er sich um jeden zerlumpten Straßenbengel Sorgen machen würde? Die liefen doch zu Dutzenden in Altona herum, hatten manchmal ein Zuhause, manchmal nicht, stahlen wie die Raben und verkrochen sich in den tiefsten Löchern. Hauptsache, sie wurden nicht vom Pastor erwischt oder von den wohltätigen Damen des Weiblichen Vereins für Armen- und Krankenpflege, den vor vielen Jahren die Hamburgerin Amalie Sieveking gegründet hatte. Dann drohte die Einweisung in ein Waisenheim. Lieber hungern und frieren, als die Freiheit aufzugeben, das war ihr Motto. Außerdem war es doch nur noch eine Frage von wenigen Jahren, bis sie groß genug sein würden, um auf einem Schiff anzuheuern. Dann würden sie die Welt umsegeln, in Südamerika einen alten Inkaschatz ausgraben, in den afrikanischen Kolonien des Deutschen Reiches eine Goldmine entdecken oder im fernen China mit dem Handel von Seide und Gewürzen reich werden. Und eines Tages würdensie heimkehren, als wohlhabende Männer, geachtet vom einfachen Volk, aufgenommen in den Kreis der vornehmen Bürger.
    Siggo hatte noch nie von einem Jungen gehört, der sich einen solchen Traum tatsächlich erfüllen konnte, aber das hielt keinen davon ab, sich die Zukunft in schillernderen Farben vorzustellen, als sie jede Laterna magica zeigen konnte.
    Doch etwas gab es, was Oliver von den anderen Straßenbengeln unterschied. Siggo ächzte unter dem schweren Kaffeesack und kam nicht darauf, was es war. Leicht schwankend folgte er dem Jungen in die Richtung des Lagerhauses.
    Â»Hinter dem schlafenden Wachmann ist Platz genug«, rief Oliver über die Schulter. »Hauptsache, die Ware liegt im Trockenen.«
    Siggo stieß ein anerkennendes Brummen aus. Kluges Bürschchen, dachte er.
    Noch neunzehnmal musste er die Strecke zwischen Pritschenwagen und Lagerhaus zurücklegen, und bald dampfte er wie vorher seine Pferde. Oliver lief eine Weile neben ihm her, dann kümmerte er sich um Max und Moritz, brachte ihnen Wasser in einem schweren Eimer, den er mehrmals abstellen musste, bis er die durstigen Pferde erreicht hatte. Siggo wollte einen Warnruf ausstoßen, aber es war nicht nötig. Oliver hatte von selbst daran gedacht, das kalte Wasser mit Stroh zu bedecken, damit Max und Moritz nicht zu viel auf einmal saufen konnten. Ihre noch warmen Leiber hätten auf die zu rasche Abkühlung mit Krankheit reagiert.
    Â»Du verstehst was von den Gäulen, mien Jung«, sagteSiggo anerkennend. Der letzte Sack war im Lagerhaus verstaut, er gönnte sich eine kurze Pause.
    Â»Bin auf dem Land groß geworden«, erwiderte Oliver. Dann senkte er den Kopf, nicht gewillt, mehr zu verraten. Einen Moment lang betrachtete Siggo ihn nachdenklich, und auf einmal wusste er, was anders war an Oliver. Er war viel zu jung! All die anderen Burschen waren mindestens zwölf, eher aber vierzehn Jahre und älter. Erst dann waren sie gewitzt genug, den wohltätigen Häschern zu entkommen.
    Â»Wie alt bist du?«, fragte er.
    Â»Im Frühjahr werde ich zehn«, sagte Oliver, streckte sich zur vollen Höhe, was nicht viel war, hob wieder den Blick und sah Siggo aus misstrauisch zusammengekniffenen Augen an. »Warum willst du das wissen?«
    Â»Nur so.« Bevor er mehr sagen konnte, hörte er in seinem Rücken eine dröhnende Männerstimme nach ihm rufen. Er wandte sich um, sah noch aus den Augenwinkeln, wie Oliver sich verdrückte, und ging dann auf den Mann zu, in dem er seinen Auftraggeber vermutete.
    Â»Prächtig, prächtig!«, rief Kommerzienrat
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