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Die Tortenbäckerin

Die Tortenbäckerin

Titel: Die Tortenbäckerin
Autoren: Brigitte Janson
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Eines Tages, vielleicht im nächsten Jahrhundert, würde kein Tier mehr von Menschen gequält werden, und die Kutscher landauf, landab würden sich an ihm, dem unbedeutenden Fuhrmann Siegmar Freesen aus Altona, ein Beispiel nehmen. Bis dahin musste ihm der Erfolg genügen, den er mit eigenen Augen sehen konnte. Die beiden Schleswiger und die zwei belgischen Kaltblüter waren gute, fleißige Arbeitstiere, die auf ein Zungenschnalzen und eine leichte Berührung mit der Fahrleine reagierten und sich keinem Befehl verweigerten.
    Er musste an das halbe Dutzend weiterer Pferde denken, das noch vor fünf Jahren im väterlichen Stall gestanden hatte, und sein Gefühl von Zufriedenheit verschwand. Das war, bevor sich Oswald Lohmann im Viertel breitgemacht hatte und jedes unlautere Mittel anwandte, um Erik Freesen die Kunden wegzunehmen.
    Damals war Siggo gerade nach Lüneburg abgereist, um in der alten Salzstadt ein eigenes Unternehmen zu gründen. Er hatte es nicht mehr ausgehalten, an der Seite des Vaters zu arbeiten. Wenn er jemals ein richtiger Mann werden wollte, das war ihm klar gewesen, musste er sich woanders ein eigenes Leben aufbauen. Der Neuanfang in Lüneburg war hart gewesen, und Siggo hatte so manches Mal ans Aufgeben gedacht. Vielleicht hatte der Vater ja recht. Vielleicht war er wirklich nur ein Weichling. Erstnach und nach fasste er Fuß, und mit jedem kleinen Erfolg wuchs sein Selbstbewusstsein. Doch dann hatte die Mutter telegraphiert und ihn zurückgerufen: »Vater vor dem Ruin. Bitte komm.«
    Nach einem Zweitagesritt war er hundemüde in der Georgstraße angekommen und hatte eine weinende Mutter und einen vor Kummer gebrochenen Vater vorgefunden. Nichts war mehr übrig von dem strengen, manchmal harten Mann, und das machte Siggo mehr Angst, als er zugeben konnte. Er durfte keine Schwäche zulassen, wenn er verhindern wollte, dass die Eltern im Armenhaus landeten. Schon am nächsten Morgen hatte Siggo das Unternehmen übernommen und hielt seine Familie seitdem gerade eben über Wasser. Nur vier Pferde hatte er behalten können, außerdem den Pritschenwagen, einen Leiterwagen und eine leichte Kutsche.
    Zur gleichen Zeit erweiterte Oswald Lohmann sein Geschäft, kaufte Wagen und Pferde dazu, stellte neue Leute ein und verkündete lauthals, er werde nach dem alten Freesen auch den jungen noch vor Jahresfrist aus dem Geschäft drängen. Nun, dachte Siggo, das behauptete Lohmann nun schon seit fast fünf Jahren. Bisher war es ihm nicht gelungen, denn trotz aller Schwierigkeiten hielt sich das Fuhrunternehmen Freesen immer noch im Geschäft.
    Siggo fröstelte plötzlich, und das lag nicht an der feuchtkalten Novemberluft, die unter seinen mit Kaninchenfell gefütterten Paletot kroch. Er hatte die Bahnhofstraße passiert und lenkte den Wagen nun über die Allee auf sein Ziel zu. Ein Blick auf Vaters Taschenuhr beruhigte ihn. Kurz vor vier. Er würde seine Ware rechtzeitig abliefern. DerZwischenfall mit dem Automobil hatte ihn nur wenige Minuten seiner kostbaren Zeit gekostet.
    Eine halbe Stunde später erreichte er den Hof der Firma Müller. Der kurze Novembertag ging bereits in die Abenddämmerung über, die erhitzten Pferde zitterten in der heraufziehenden Kälte. Siggo sprang vom Kutschbock, holte zwei alte Decken aus einer Kiste auf der Ladefläche und warf sie über die breiten Rücken. Max und Moritz blieben vorbildlich stehen, kauten auf ihren Gebissen und wieherten leise. Siggo zog seinen Paletot aus, legte ihn sorgfältig zusammen und begann mit dem Abladen. Niemand kam ihm zu Hilfe, und er knirschte mir den Zähnen. Er war Fuhrunternehmer, kein Lastenträger. Aber Standesdünkel konnte er sich in seiner Lage nicht leisten. Und wer wusste schon: Vielleicht wollte ihn der Großhändler auf diese Weise prüfen? Wollte er feststellen, dass ein Siegmar Freesen sich nicht zu fein für eine Knochenarbeit war?
    Wie aus dem Nichts tauchte der dünne Junge wieder neben ihm auf.
    Â»Wo kommst du denn her?«, fragte Siggo und ächzte unter einem dreißig Kilogramm schweren Kaffeesack. Der Geruch der ungebrannten Bohnen reizte seine Nase und machte ihn schwindelig.
    Â»Wollte nur sehen, ob du den Auftrag auch erledigt hast«, sagte Oliver und setzte eine wichtige Miene auf. In dem dreckverschmierten spitzen Gesicht wirkten die herabgezogenen Mundwinkel und die nach oben weisenden Augenbrauen aber
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