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Die Tortenbäckerin

Die Tortenbäckerin

Titel: Die Tortenbäckerin
Autoren: Brigitte Janson
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werden.«
    Â»Was denn?«
    Â»Kutscher.«
    Â»Ich bin kein Kutscher, sondern Fuhrunternehmer.«
    Â»Ach so.«
    Â»Wie heißt du, Bursche?«
    Â»Oliver. Oliver Kuhn.«
    Â»Hab dich hier noch nie gesehen.«
    Â»Ich wohn da drüben.« Mit einem dreckverkrusteten Zeigefinger hatte der Junge auf das graue Mietshaus am anderen Ende der Straße gezeigt. Dann war er aufgesprungen und davongelaufen, und als Siggo den Pritschenwagen die Georgstraße hinunterlenkte, hatte er ihn bereits vergessen.
    Das Automobil fuhr knatternd um die nächste Häuserecke,und Siggo konnte wieder auf den Kutschbock steigen. Er schnalzte mit der Zunge, ließ die Fahrleine einmal kurz auf die beiden Pferderücken fallen, und schon zogen Max und Moritz brav wieder an. Siggo nickte zufrieden. Noch nie hatte er die Pferde mit der Peitsche schlagen müssen. Sein Vater Erik Freesen hatte das allerdings stets als eine dumme Marotte der Jugend abgetan. »Du verdirbst die Gäule«, hatte er oft geschimpft, als er noch am Leben teilnahm. »Und du bist ein Schwächling. Aus dir wird nie ein ganzer Kerl.«
    Siggo, damals zehn oder zwölf, war unter den Worten zusammengezuckt. Er wusste, der Vater verachtete ihn, weil er nicht so hart war wie er selbst. Dabei wünschte er sich doch nichts mehr auf der Welt, als vom Vater einmal gelobt zu werden. Nur, die Peitsche sausen zu lassen – das brachte er einfach nicht fertig. Erik Freesen lachte bitter auf. »Ich hab’s gewusst, mein Sohn Siegmar ist ein Feigling.« Schon damals nannte er ihn niemals bei seinem Spitznamen Siggo, und er verzichtete niemals auf die Peitsche, wenn sie seiner Meinung nach nötig war – bei dem weinerlichen Jungen oder bei den ungehorsamen Rössern. Der Junge wurde irgendwann zu groß dafür, überragte den Vater bald um Haupteslänge, aber die Rösser setzten sich nie zur Wehr. Erik Freesen war nicht von Natur aus grausam, aber sein eigener Vater hatte ihn mit Härte erzogen. Von ihm hatte er auch den Umgang mit den Pferden gelernt. Seit jedoch Siggo das Sagen hatte, wurde kein Pferd mehr geschlagen.
    Im Stall von Oswald Lohmann ging es anders zu. Der Mann war in ganz Altona berüchtigt dafür, dass er die Kruppen seiner Gäule mit roten Striemen übersäte, aber dieMeinung der Leute interessierte ihn nicht. Für ihn zählte nur das Geld, das er scheffeln konnte, und wenn ein Gaul nicht spurte, wurde der erst halb totgeschlagen und dann kam er zum Abdecker. Billigen Nachschub gab es jederzeit. Lohmann unternahm berüchtigte Fahrten übers Land, presste den notleidenden Bauern ihre besten Tiere für einen Hungerlohn ab und verschliss sie dann in wenigen Monaten. Die Kutscher, die für ihn arbeiteten, waren aus demselben Holz geschnitzt. Männer mit einem Gewissen oder gar Tierliebe stellte Lohmann gar nicht erst ein.
    Wenn Siggo zufällig Zeuge einer solchen Quälerei wurde, musste er seine gesamte Willensstärke aufbieten, um nicht einzugreifen. Alles in ihm drängte danach, einem geschundenen Tier zu Hilfe zu eilen. Aber er wusste: Lohmann wartete nur auf eine solche Gelegenheit, und dann würde er den verhassten jungen Konkurrenten in die Knie zwingen. Nicht auszuschließen, dass Siggo dann selbst die Peitsche zu spüren bekommen würde. Schlimmer noch: Lohmanns Kutscher, das wusste Siggo aus sicherer Quelle, hatten Anweisung, jeden Mann windelweich zu prügeln, der es wagte, sie anzugreifen. Aus reiner Notwehr würden sie handeln, und ein gewisser Siegmar Freesen sollte dabei nicht unbedingt mit dem Leben davonkommen. Selber schuld, wenn er sich in Angelegenheiten mischte, die ihn nichts angingen. Und Siggo, dieser große starke Kerl, der nichts und niemanden zu fürchten schien, war sich im Grunde seines Herzens nicht sicher, ob er sich tapfer schlagen würde. Zu tief saßen die Schmähungen des Vaters, die er sich seine ganze Kindheit lang hatte anhören müssen.
    Die Schleswiger schnaubten zufrieden, warme Atemwolken stiegen von ihren Mäulern auf, die Kruppen wiegtensich im gleichmäßigen Rhythmus. Siggo verdrängte seine trüben Gedanken und rief: »Hühott, meine Dicken, bald habt ihr es geschafft.«
    Als hätten sie ihn verstanden, legten sich Max und Moritz mit noch mehr Kraft ins Geschirr. Siggo nickte zufrieden. Seine Art, die Pferde zu behandeln, war die richtige. Davon war er felsenfest überzeugt.
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