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Die Tortenbäckerin

Die Tortenbäckerin

Titel: Die Tortenbäckerin
Autoren: Brigitte Janson
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Faustkämpfer in einem Zirkuszelt auf St. Pauli, dem verrufenen Vergnügungsviertel nahe des Hamburger Hafens. Niemand, der die zwei zum ersten Mal sah, hätte sie für Tante und Nichte gehalten. Mathildes graues Haar wies noch Spuren seiner einstigen feuerroten Farbe auf, die ihr in jungen Jahren den Ruf einer heißblütigen Frau eingetragen hatte. Ihre Gesichtszüge waren eher grobknochig und schlicht, während Gretas herzförmiges Antlitz an die Tuschebildchen der Madonna erinnerte, wie sie die wenigen Katholiken in der Georgstraße manchmal bei sich trugen. Ihr rotbraunes Haar ließ sich nie schicklich in einem Knoten bändigen. Immer wieder lösten sich einzelne Strähnen und umspielten frech ihr hübsches Gesicht. So viel Schönheit konnte einer Deern nur Unglück bringen – genau dasselbe hatte Mathilde schon damals gedacht, als ihr Bruder Fritz ihr seine junge Frau Viola vorgestellt hatte. EinMädchen aus dem Rheinischen, hübsch anzusehen, aber von schwacher Konstitution und mit keinerlei praktischer Beg ab u n g.
    Â»Die passt nicht zu uns«, hatte Mathilde gesagt. »Sie ist zu zart. Die Frau eines Seemanns muss hart sein.« Aber Fritz war blind vor Liebe gewesen und hatte nicht auf sie gehört. Natürlich nicht. Man schrieb das Jahr 1870, der große Krieg zwischen dem Deutschen Reich und Frankreich hatte seinen Höhepunkt erreicht. Fritz war auf Heimaturlaub von der Front. Er kam aus der Schlachtenhölle von Lothringen und wollte nun mit der süßen Viola den Himmel auf Erden genießen.
    Dass seine Frau ihm überhaupt ein Kind gebar, grenzte schon an ein Wunder, eine weitere Schwangerschaft würde sie umbringen, warnte die alte Hebamme Katharina, die billiger war als ein Arzt und von Frauen und Kindern viel mehr verstand als jeder studierte Mann und die vor allem größten Wert auf Hygiene legte. Mathilde kümmerte sich damals um die winzige Tochter, weil Viola viele Monate brauchte, um sich von der Geburt zu erholen. Greta war ein Miniaturabbild ihrer Mutter, und niemand glaubte wirklich daran, dass sie überleben würde. Zu klein, zu schwach, zu blass, zu still. Aber sie überraschte Mathilde, überraschte ihren Vater, überraschte ihre Mutter. Sie wurde ein Jahr alt, dann zwei, dann drei. Sie blieb kleiner als die anderen, robusten Kinder im Viertel, und ihre Schüchternheit war grenzenlos. Mathilde hörte nie auf, sich Sorgen um die Lütte zu machen. Aber wenn sie mit ihrem Bruder oder seiner Frau darüber sprach, winkten diese nur ab.
    Â»Das wächst sich schon zurecht«, meinte Fritz, und Viola verstand überhaupt nicht, wovon sie überhaupt redete.
    Ihr Vater trug Greta stolz auf seinen Schultern zum Hafen hinunter, um ihr den Viermaster zu zeigen, mit dem er schon bald wieder in See stechen würde, Kurs Buenos Aires. Ihre Mutter saß stundenlang mit ihr am Fenster, las ihr Gedichte von Heinrich Heine vor und freute sich an dem aufgeweckten Geist ihrer Tochter. Greta verstand zwar nicht den tieferen Sinn der Lyrik, aber sie weinte an den richtigen Stellen, weil sie Tränen in den Augen der feenhaften Mutter entdeckte. Die Arbeit im Haushalt überließ Viola ihrer in allen praktischen Dingen so gewandten Schwägerin. Damals hatte die Familie in einer hellen Zweizimmerwohnung an der Lohmühlenstraße gewohnt. Das vordere Fenster ging auf einen von jungen Buchen umstandenen kleinen Park hinaus, den Abort im Treppenhaus mussten sich die Vossens nur mit zwei anderen Parteien teilen. Fritz bekam als Maat eine anständige Heuer, und er gehörte nicht zu den Seeleuten, die in fremden Häfen ihr Geld mit Freudenmädchen und billigem Rum durchbrachten.
    Mathilde übernahm klaglos alle Pflichten. Sie war mit einem Platz auf dem abgewetzten Sofa zufrieden, stand früh um fünf auf und kam selten vor zehn Uhr am Abend zur Ruhe. Der Tag begann mit dem Anschüren des Feuers im Ofen. Viola fror immer, selbst im Hochsommer. Dann folgte der Gang zum Markt, und erst danach weckte Mathilde die kleine Greta. Das war der schönste Moment des Tages. Wenn die Kleine die Augen öffnete, ihre Tante anstrahlte und sich kurz darauf heiße Milch mit Honig einflößen ließ. Danach rasten die Stunden vorbei, waren angefüllt mit Pflichten, die noch um einiges größer waren, wenn ihr Bruder zu Hause war. Er verlangte besondersherzhaftes Essen, um den Fraß aus gepökeltem
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