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Die Tore der Welt

Titel: Die Tore der Welt
Autoren: Ken Follett
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hatte
Gerald für heute nach Kingsbridge bestellt, um sich mit ihm und dem Prior
zusammenzusetzen und eine Lösung zu besprechen.
    Sir Gerald
erwiderte: »Wenn du keinen Brei willst, können wir ja in eine Schänke gehen.«
    Merthin spitzte die
Ohren. Er mochte das Frühstück mit frischem Brot und Salzbutter im Wirtshaus.
Aber Mutter sagte: »Das können wir uns nicht leisten.«
    »Doch, können wir«,
widersprach Sir Gerald und tastete nach seiner Börse — und das war der
Augenblick, da er bemerkte, dass sie verschwunden war.
    Zuerst schaute er
auf den Boden, als wäre sie hinunter gefallen; dann bemerkte er den Schnitt am
Lederband und brüllte entrüstet auf. Alle drehten sich zu ihm um, mit Ausnahme
von Lady Maud, die zu Boden blickte. Merthin hörte sie leise vor sich hin
murmeln: »Das war alles, was wir hatten.«
    Sir Gerald funkelte
die anderen Gäste im Hospital vorwurfsvoll an. Die lange Narbe, die von seiner
rechten Schläfe bis zum linken Auge verlief, verdunkelte sich vor Zorn.
Gespannte Stille senkte sich über den Raum. Ein wütender Ritter war gefährlich,
selbst einer, der offensichtlich vom Pech verfolgt war.
    Dann sagte Lady
Maud: »Ohne Zweifel hat man dich in der Kirche beraubt.« Merthin vermutete,
dass sie recht hatte. In der Dunkelheit hatten die Leute nicht nur Küsse
gestohlen. »Sakrileg!«, rief Vater.
    »Ich nehme an, es
ist passiert, als du dieses kleine Mädchen hochgehoben hast«, fuhr Mutter fort.
Ihr Gesicht war verzerrt, als hätte sie etwas Bitteres gegessen. »Der Dieb hat
dir vermutlich von hinten um die Hüfte gegriffen.«
    »Er muss gefunden
werden!«, brüllte Vater.
    Der junge Mönch mit
Namen Godwyn meldete sich zu Wort.
    »Was geschehen ist,
bedaure ich, Sir Gerald. Ich werde sofort gehen und John Constable Bescheid
geben. Er kann dann nach einem armen Kerl suchen, der unverhofft zu Reichtum
gelangt ist.«
    Dieser Plan kam
Merthin nicht gerade viel versprechend vor. Es gab Tausende von armen Menschen
in der Stadt und noch Hunderte mehr von außerhalb. Der Büttel konnte sie
unmöglich alle beobachten.
    Aber Vater zeigte
sich beschwichtigt. »Der Schuft soll hängen!«, sagte er mit nicht mehr ganz so
lauter Stimme.
    »Und in der
Zwischenzeit… Vielleicht wollt Ihr, Lady Maud und Eure Söhne uns ja die Ehre
geben, Euch an den Tisch vor dem Altar zu setzen«, schlug Godwyn vor.
    Vater knurrte.
Merthin wusste, dass es ihn freute, einen höheren Status als die Masse der
Gäste zugesprochen zu bekommen, die auf demselben Boden essen mussten, auf dem
sie auch geschlafen hatten.
    Der Augenblick, da
Gewalt in der Luft gehangen hatte, verging, und Merthin entspannte sich ein
wenig; doch als die vier ihre Plätze am Altar einnahmen, fragte er sich
besorgt, was nun aus der Familie werden würde. Sein Vater war ein tapferer
Soldat — das sagte jeder.
    Sir Gerald hatte
für den alten König bei Boroughbridge gefochten, wo ihm das Schwert eines
Lancaster-Rebellen die Narbe auf der Stirn beigebracht hatte. Aber das
Schicksal hatte es nicht gut mit ihm gemeint. Viele Ritter machten in der
Schlacht reiche Beute: geplünderte Juwelen, eine Wagenladung flämisches Tuch
und italienische Seide oder den geliebten Vater einer hochwohlgeborenen Familie,
der ein Lösegeld von tausend Pfund wert war. Sir Gerald hatte jedoch nie viel
nach Hause gebracht. Trotzdem musste er nach wie vor Waffen, Rüstung und ein
teures Schlachtross finanzieren, um weiter seine Pflicht dem König gegenüber
erfüllen zu können, und aus unerfindlichen Gründen reichten die Erträge seiner
Ländereien dafür nie aus. Also hatte er gegen den Willen seiner Frau begonnen,
sich das Geld zu leihen.
    Die Küchenhilfen
brachten einen dampfenden Kessel herein. Sir Geralds Familie wurde als erste
bedient. Der Brei war aus Gerste gemacht, gewürzt mit Rosmarin und Salz. Ralph,
der die Familienkrise nicht verstand, begann aufgeregt über das Hochamt zu
reden, doch die mürrische Stille, die auf seine Worte folgte, brachte ihn zum
Schweigen.
    Nachdem der Brei
gegessen war, ging Merthin zum Altar. Dahinter hatte er seinen Bogen und seine
Pfeile verstaut. Jeder zögerte, etwas von einem Altar zu stehlen. Natürlich
überwand manch einer seine Angst, wenn die Versuchung groß genug war, aber ein
selbst gemachter Bogen war keine große Beute. Also war er tatsächlich noch da.
    Merthin war stolz
auf seine Waffe. Natürlich war sie klein; um einen großen Sechs-Fuß-Bogen
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