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Die Tochter des Tuchhandlers

Titel: Die Tochter des Tuchhandlers
Autoren: Wilken Constanze
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seinem Nacken.
    Â»Versucht nicht zu schreien, Agozzini. Ihr könnt Euer Leben nur retten, wenn Ihr die Verräter hier in Lucca preisgebt.«
    Sie konnten nichts wissen. Außer ihm und Flamini wusste niemand von dem Plan. Ihr Verbündeter hatte sich sehr geheimnisvoll gegeben und selbst ihm und Flamini seine Identität noch nicht verraten. Woher Flamini seine Überzeugung nahm, dass dieser es ehrlich meinte, wusste Agozzini nicht, aber der Geheimsekretär des Papstes war kein Trottel und erfahren im Einfädeln von Intrigen und politischen Ränkespielen. Flamini hatte den Brief in seinem Beisein verfasst und den Sekretär vorher hinausgeschickt. Die Erkenntnis traf ihn mit voller Wucht, dass er keuchend zusammensackte. »Dieser Wurm …«, entfuhr es ihm. Mari, der Sekretär, musste gelauscht haben, anders konnte sich Agozzini nicht erklären, woher diese Männer von seinem Auftrag wussten.
    Â»Nun?«
    Der Mann, den er für einen Soldaten hielt, packte ihn an den Schultern. »Welchen stinkenden Verräter deckst du? Im Feld machen wir mit nichtsnutzigen Kreaturen wie dir kurzen Prozess …«
    Ein scharfer Schmerz durchfuhr Agozzinis Nacken, und warmes Blut rann die Haut herunter. »Ihr werdet mich töten, ob ich zum Verräter werde oder nicht.« Er fasste sich an den Hals, sah das Blut an seiner Hand und entschied sich für einen ehrenhaften Tod. Sein Leben hatte der Kirche gehört. Er war krank und wusste um die Qualen, die ihm die Franzosenkrankheit noch bescheren würde. Bedauerlich war nur, dass er nicht in den Genuss dieser Liebesnacht gekommen war, und in Gedanken daran umspielte ein zynisches Lächeln seine Lippen.
    Â»Er wird nichts sagen.« Der dritte Mann hatte eine weiche Stimme. Unter seinem dunklen Umhang schimmerte ein silberbeschlagener Gürtel, in dem Dolch und Degen steckten. »Fast tut er mir leid.«
    Der schöne Jüngling spuckte verächtlich auf den Boden. »Mir nicht. Ihm geht es nur um seine Lust. Dafür würde er Hunderte von Menschen opfern, seinen Gott um Verzeihung bitten und sich ruhig schlafen legen.«
    Der große, schlanke Mann mit den aristokratischen Gesichtszügen musterte Agozzini eingehend. »Durchsucht ihn. Vielleicht trägt er ein Schreiben bei sich.«
    Agozzini wurde auf die Füße gezogen und von dem Jüngling und dem Mann mit der angenehmen Stimme seines Mantels entledigt und durchsucht. Wenn sie den Brief fanden, würden sie ihn sofort töten. Er öffnete den Mund, um zu schreien, doch dazu kam er nicht mehr. Als hätten sie es geahnt, packten sie ihn, jemand presste ihm eine Hand auf seinen Mund und erstickte den Schrei in seiner Kehle. Mit weit aufgerissenen Augen sah er blinkenden Stahl aufblitzen und spürte kurz darauf einen brennenden Schmerz in seiner Brust. Noch wenige Male schlug sein Herz mit letzter Kraft, dann umklammerten Eisenzwingen seine Lungen, pressten ihm die Rippen zusammen, und röchelnd schnappte er wie ein verendender Fisch nach Luft. Das Letzte, was seine brechenden Augen sahen, war das Gesicht eines Engels, der lächelnd auf ihn herabsah, während eine dunkle Strähne das vollkommene Antlitz umspielte.
    Â»Herr, in deine Obhut befehle ich mich …« Agnello Agozzini, der päpstliche Legat, war tot.

II
    Hochzeit in Lucca, 12. Januar 1525
    Der eisige Ostwind brachte Schnee. Beatrice wandte den Blick in Richtung des Apennin, dessen Ausläufer sie in der Ferne wusste. Die Glocken von San Frediano riefen zur Frühmesse. Sie hob den Blick zum Himmel, um die morgendliche Dunkelheit zu durchdringen. Eine Schneeflocke traf ihre Stirn. Sie schloss die Augen und fühlte, wie dicke Flocken ihre Haut berührten. Ein weißer Flaum bedeckte in kurzer Zeit Haare und Kleid, auf Gesicht und Dekolleté schmolzen die Flocken. Die absurdesten Gedanken zogen ihr durch den Kopf. Fühlte sich so das Paradies an? So sanft und kühl stellte sie sich den Himmel vor – oder den Tod. Vielleicht starb sie an Schwindsucht, und die Hochzeit würde abgesagt. Wie lange dauerte es, bis einen das Fieber packte? Clarice, die Tochter von Messer Vecoli, war im vergangenen Winter in die eiskalten Wasser des Serchio gestiegen und, obwohl man sie sofort herausgezogen hatte, innerhalb von drei Tagen gestorben.
    Clarice war ihre Freundin gewesen, die einzige wirkliche Freundin, die sie je hier in Lucca gehabt hatte. Beatrice Rimortelli atmete die
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