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Die Tochter des Tuchhandlers

Titel: Die Tochter des Tuchhandlers
Autoren: Wilken Constanze
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lächelte. Morgen Nacht würde er sich an einen geheimen Ort begeben und den Mann treffen, für den er ein Schreiben Flaminis mit dem päpstlichen Siegel bei sich trug.
    Aber die heutige Nacht gehörte ihm und jenem schönen Jüngling, auf den er hier mit wachsender Nervosität wartete. Er hatte schon befürchtet, sich im provinziellen Lucca zu langweilen. Wie man sich täuschen konnte! Die Luccheser waren anders als die Römer, sie gaben sich zurückhaltend und verschlossen, zumindest Fremden gegenüber. Dass sie aber genauso lasterhaft und verschlagen waren wie jeder andere Italiener auch, hatte er schnell gemerkt. Er schnippte mit zwei Fingern gegen die Karaffe. Letztlich waren sie nur Kaufleute, und womit errang man am einfachsten das Herz eines Kaufmanns? Mit Geld.
    Agozzini leerte den Kelch in einem Zug, um ihn gleich wieder zu füllen. Nein, er tat den Lucchesern Unrecht – es gab etwas, das sie genauso sehr liebten wie ihren Wohlstand: ihre Republik. Vielleicht hatten sie auch nur Angst um ihren Reichtum und zahlten deshalb seit Jahren enorme Summen an Kaiser Karl V., der ihnen im Gegenzug seine Protektion und den Erhalt der Republik garantierte. Auf die eine oder andere Art bestand eben immer eine Abhängigkeit.
    Seine Beine kribbelten unangenehm. Er beugte sich vor und rieb die Waden, deren weiße Haut fleckig aussah. Der lästige Ausschlag zog sich von den Fußsohlen aufwärts. Egal, welchen Quacksalber er bisher gefragt hatte, keiner hatte ihm helfen können. Bevor er erneut nach dem Kelch griff, zog er seine Beinkleider wieder herunter. Der kühle Seidenstoff war angenehm auf der Haut. Mit großer Sorgfalt hatte er sich heute Abend gekleidet. Ohne Übertreibung konnte er von sich behaupten, noch immer ein gutaussehender Mann zu sein. Das Leben hatte zwar Spuren in seinem Gesicht hinterlassen, doch Erfahrenheit und Macht wogen in den Augen der Jugend oft mehr als unschuldige, blasse Schönheit.
    In gespannter Erwartung horchte er in das Kirchenschiff. Würde er kommen? Agozzini leckte sich die Lippen und rückte bei dem Gedanken an das ebenmäßige Gesicht des Jünglings und dessen geschmeidigen Körper seinen Hosenbund zurecht. Für frisches, weiches Fleisch unter seinen erfahrenen Händen und den Anblick eines wohlgeformten männlichen Körpers hätte er seine Seele verkauft. Der junge Mann war ihm auf der Piazza vor dem Dom aufgefallen, wo er in Begleitung einiger Edler und Kaufleute gestanden hatte. Wie zufällig hatten sich ihre Blicke getroffen. Agozzini schloss seine Lider in Erinnerung an die dunklen Augen unter langen, dichten Wimpern, die ihm eine unmissverständliche Botschaft gesandt hatten.
    Das Zuschlagen einer Tür ließ den päpstlichen Gesandten aus seinen Träumereien auffahren. Nervös zupfte er an seinem Mantel. Verhaltene Schritte näherten sich aus dem Hauptschiff. Am Klang der unterschiedlichen Bodenbeläge hörte er, wie sich der Besucher näherte. Durch die Seitentür, die Agozzini unverschlossen gelassen hatte, war der Besucher eingetreten, an der Figurengruppe des heiligen Martin vorbei durch das Mittelschiff gegangen und passierte jetzt den Tempietto del Volto Santo von Civitali. Eine lose Marmorfliese verriet ihn. Agozzinis Herz begann schneller zu schlagen, und er umklammerte die Stuhllehne, als die Tür zur Sakristei langsam aufschwang und ein schlanker Jüngling eintrat.
    Â»Du bist gekommen …«, murmelte Agozzini.
    Der Mann vor ihm verkörperte das Abbild göttlicher Vollkommenheit und ließ ihn erschauern, wie er dort lässig im Türrahmen stand, die langen Haare aus dem Gesicht streichend, dessen gerade Nase zu den perfekt geschwungenen Lippen und dem Kinn mit einem zarten Grübchen passte. Allein der Anblick dieses Mannes war jedes Risiko wert, denn dass er ein nicht unbeträchtliches Wagnis einging, indem er sich allein und zu nächtlicher Stunde hier mit einem Fremden verabredete, war Agozzini bewusst. Aber er befand sich im Dom des Bischofs, und welcher Luccheser würde es wagen, sich an ihm zu vergreifen? Er, Agnello Agozzini, stand unter dem Schutz Seiner Heiligkeit Papst Clemens VII.
    Â»Euer Exzellenz.« Der Jüngling ließ seinen wollenen Umhang auf den Boden gleiten und machte einen Schritt auf den Gesandten zu. Plötzlich fiel er vor ihm auf die Knie und ergriff Agozzinis Hand, um seine Lippen auf den Ring zu pressen.
    Wie
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