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Die Tochter des Tuchhandlers

Titel: Die Tochter des Tuchhandlers
Autoren: Wilken Constanze
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dort noch jemand ist.« Doch es war unmöglich, bis zur Via Giulia vorzudringen. Tomeos Brustpanzer war blutverschmiert, eine leichte Wunde klaffte am Unterschenkel. Sie musste seinen Brief erhalten haben. Auf Tuveh war Verlass, und Beatrice war sicher schon auf dem Weg nach Sizilien. Oder sie war schon dort, in Calascibetta!
    Dann sah er in dem Gewühl eine schwarzhaarige Frau in einer Gasse verschwinden. Als sie kurz den Kopf wandte, stockte ihm der Atem. Marcina! Er gab seinem Pferd die Sporen und preschte durch die Kämpfenden. Gian Marco schrie hinter ihm her, doch er hatte nur die fliehende Frauengestalt im Auge, die jetzt dicht vor ihm herlief. »Marcina Porretta!«, brüllte er.
    Sie drehte sich nicht um, sondern warf sich gegen eine Haustür und trommelte gegen das Holz, doch niemand, der sich in seinem Haus verbarrikadiert hatte, würde jetzt die Tür öffnen. Aus einer Seitenstraße drängte eine Horde Landsknechte heran. Einer der Männer schwang eine blutige Axt, die anderen zerrten eine weinende junge Nonne mit sich, deren weiße Kutte mit Dreck und Blut besudelt war. Als sie Marcina sahen, johlten die Männer, und ein rothaariger Hüne packte sie und warf sie sich über die Schulter.
    Â»Lasst sie los!«, brüllte Tomeo, doch die Männer grölten nur wilde Kriegslieder und zogen in die nächste Querstraße. Dann soll es so sein, dachte Tomeo und wollte sein Pferd zum Umdrehen antreiben, als er Gian Marco hinter sich rufen hörte:
    Â»Achtung, capitano , links von Euch!«
    Marcina hatte ihn abgelenkt, so dass er den Torbogen nicht im Blick gehabt hatte, aus dem eine Gruppe römischer Söldner hervorstürzte. Kaum sah Tomeo die Klinge aufblitzen, da spürte er auch schon den Schmerz in seinem Oberarm. Es knirschte, und etwas in ihm zerriss, so dass er das Gefühl in seiner linken Hand verlor.
    Â» Capitano , nach rechts!« Gian Marco drängte ihn und sein Pferd nach vorn in eine Gasse, in der kaum gekämpft wurde.
    Tomeo hielt noch sein Schwert, die Zügel waren ihm entglitten, und langsam schwanden ihm die Sinne. Während er aus dem Sattel rutschte, dachte er noch, dass er auf Tuveh hätte hören sollen. In diesem Krieg gab es keine Ehre, und sie waren alle Verlierer. Er spürte seinen Kopf hart auf Steinen aufschlagen, bevor er das Bewusstsein verlor.

XXXVI
    Calascibetta, November 1527
    Weit erstreckte sich das Hügelland vor ihren Augen. Sie hatte nicht erwartet, dass es so grün sein würde. Beatrice strich sich die Haare aus dem Gesicht. Sie trug sie wie die meisten Frauen hier zu einem Zopf geflochten über einem einfachen Leinenkleid. Etwas Kaltfeuchtes stieß sie an. Der große Hund legte zutraulich seine Schnauze in ihre Hand. Der schlanke graue Mischling gehörte zum Gut und folgte ihr überallhin.
    Zu Beginn war es nicht einfach gewesen. Die Menschen waren stolz und verschlossen und hatten sie mit Misstrauen empfangen. Obwohl sie alle Dokumente vorgewiesen hatte, die beglaubigten, dass sie die neue Herrin des Gutes war, hatte man sie deutlich spüren lassen, dass sie eine Fremde war, ein Eindringling in einem seit Jahrzehnten funktionierenden Betrieb, der einem kleinen Dorf glich. Calascibetta lag eine Wegstunde östlich von den Ländereien der Seidenmanufaktur der Buornardis. Das Land war gut. Fruchtbares Land, das sein Wasser von einem Nebenfluss des Lago Villarosa bezog. Auf einem Plateau im Süden lag Enna, die Provinzhauptstadt. Sizilien gehörte mit Neapel zum kaiserlichen Reich und war dem Vizekönig unterstellt, doch auch hier waren politische Unruhen zu spüren, von denen Beatrice am liebsten nichts wissen wollte.
    Â»Na komm.« Sie streichelte dem Hund über den Kopf und wandte sich um. Ein schmaler Trampelpfad führte zwischen stacheligen Sträuchern und hohem Gras hinunter zum Gutshof, der aus Stallungen, den Manufakturgebäuden, kleineren Gebäuden, in denen die Seidenraupen aufgezogen wurden, Gesindehäusern und dem Haupthaus bestand. Eine Magd trug eine Milchkanne über den Hof und grüßte Beatrice freundlich.
    Die Leute machten hervorragenden Käse, und auch sonst war das Essen reichhaltig und schmackhaft. Seit einigen Tagen hatte es nicht geregnet, und es staubte auf dem Hof. Hühner rannten gackernd vor ihr davon, ein alter Knecht trieb einen Esel vor sich her, und Giulia saß neben Gino auf dem Boden vor dem Haus. Der Junge lag in einer
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