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Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition)

Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition)

Titel: Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition)
Autoren: Lesley Downer
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Namen Tokyo ignorierten und sich weiterhin als Bewohner Edos betrachteten.
    Die einzige tatsächliche Änderung bestand darin, dass Neujahr zu früh kam. Mitten im Winter Neujahrsrituale durchzuführen und Neujahrsspeisen zu essen statt beim Erblühen der Pflaumenbäume, kam allen vollkommen falsch vor. In den vergangenen Jahren hatten die Kinder draußen Federball gespielt und den Wanderschauspielern zugeschaut, doch in diesem Jahr war es dafür viel zu kalt.
    Takas Vater war da gewesen, als sich der Kalender änderte. Seine Arbeit führte ihn oft von zu Hause fort, aber Taka mochte es, wenn er daheim war. Sie fürchtete sich ein wenig vor ihm. Er war gewaltig, so breit und hoch wie ein Sumo-Ringer und rund wie ein Bär – genau wie Fujino wirkte er überlebensgroß.
    Anlässlich des Kalenderwechsels hatte er ein Gedicht geschrieben, Taka auf sein breites Knie gesetzt und es ihr vorgelesen:
    Seit längst vergangenen Zeiten war dies der Tag, an dem wir das neue Jahr begrüßen.
    Wie wird der westliche Kalender die fernen Bergdörfer erreichen?
    Der Schnee verkündet die Ankunft eines fruchtbaren Jahres, und Familien ehren ihre Vorfahren.
    Wie freudvoll sind die Rufe der Dorfkinder.
    »Oharu heiratet also, und du wirst bald Großmutter sein«, sagte Tante Kiharu mit hellem Lachen. Harus Wangen wurden knallrot, und sie starrte unverwandt auf das glänzende Fleisch in ihrer Schale.
    »Und als Nächstes müssen wir Taka eine gute Partie verschaffen«, dröhnte Fujino.
    Nun zuckte Taka zusammen. Wenn ihre Mutter doch nur nicht so laut sprechen würde, dachte sie und kämpfte tapfer mit einem weiteren Stück Fleisch. Es war schrecklich zäh, aber sie wollte sich auf keinen Fall geschlagen geben.
    Dann merkte sie plötzlich, dass sich etwas verändert hatte. Nebenan waren das Stimmengewirr und Klappern der Stäbchen, das Kleiderrascheln und Fußgetrippel verstummt. Vollkommene Stille war eingetreten, als hielten alle den Atem an, dann ertönte ein furchterregendes Brüllen, gefolgt von Krachen, als die Speisenden auf die Füße kamen und zur Tür rannten.
    Noch ein weiteres Geräusch war zu hören – Schritte, die auf den Nebenraum zustapften. Taka bekam es mit der Angst und blickte sich hektisch um. Sie saßen in der Falle, es gab keinen anderen Weg hinaus. Sie hastete zur Rückseite des Raumes und stieß dabei an einen Tisch. Zum Glück war er groß und schwer und fiel nicht um. Wenn die glühende Holzkohle verschüttet worden wäre, hätte alles in Flammen aufgehen können. Sie versteckte sich hinter Haru und den Bedienungen, kauerte sich so eng an die Wand, dass sich ihr der körnige Verputz in die Haut drückte.
    Die drei Stühle ihrer Mutter fielen krachend um. Fujino war aufgesprungen, ihr Dolch blitzte im Kerzenlicht. Seitdem sie die Mätresse eines der führenden Samurai des Landes war, hatte sie sich angewöhnt, einen Dolch zu tragen, wie es die Frauen der Samurai taten. Tante Kiharu war neben ihr, und auch sie hatte einen Dolch in der Hand.
    Schwer atmend sah Taka, wie die Tür aufglitt und ein Gesicht im schwachen Licht des Flurs auftauchte, verhüllt mit einem Tuch wie ein Bandit. Schwarze Augen funkelten zwischen den Stofffalten. Ein Mann, groß und stämmig, in schäbigen Beinlingen, die weiten Ärmel seiner Jacke kampfbereit zurückgebunden. Er hielt ein Schwert in der Hand.
    Taka wusste genau, was er war – ein Ronin, ein herrenloser Samurai, verarmt und verbittert, niemandem zur Rechenschaft verpflichtet. Als sie klein war, hatten die Straßen von Männern wie ihm gewimmelt. Prahlerisch waren sie herumstolziert und hatten nach Ärger Ausschau gehalten. Erinnerungen kamen hoch, schreckliche Erinnerungen, die sie mit Mühe verdrängt hatte – laute Schreie in den Straßen, Fäuste, die an die Tür hämmerten, ihre Mutter, die sich den wütenden Eindringlingen entgegenstellte. Taka wusste noch, wie sie durch die Fensterläden gelugt und direkt vor der Tür hatte Leichen liegen sehen.
    Fujino trat ihm entgegen. Oft hatte sich Taka gewünscht, ihre Mutter wäre mehr wie die Mütter ihrer Schulfreundinnen – zart, schmallippig, scheu, nicht so massig und pompös. Aber nun schwoll ihr Herz vor Stolz.
    »Was für ein Tumult«, sagte Fujino ruhig. Das war ihre Geisha-Stimme, der eisige Ton, den sie benutzte, wenn Männer von zu viel Alkohol ungehobelt wurden, wenn ein Blick aus Fujinos zu Schlitzen zusammengekniffenen Augen Männer zittern ließ wie Kinder. »Und all das für einen Mann!« Verächtlich dehnte
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